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Sage und Sitte
des alten Götterdienstes hatten in der Volksvorstellung eine gewisse
Weihe und den Ruf übersinnlicher Kräfte behalten. Deshalb mußten
sie von der Kirche verfolgt werden. Die Hexe der späteren Zeit führt
Zauberstab und Hexenkessel; das sind genau die Abzeichen der
früheren Priesterin, Runenstab und Weihekessel (A. Freybe. Deut—
sches Frauenlob, 5. 9).
Es ist erklärlich, wenn auch nicht gerade rühmlich, daß sich die Hexenverfolgung
in den geistlichen Fürstentümern am längsten erhalten hat. In Preußen hat
schon Friedrich Wilhelm der Erste, in Osterreich Maria Therefia die Bexenver—
folgungen beseitigt, die in Preußen schon vorher tatsächlich nicht mehr vorkamen.
Dagegen hat der Fürstbischof von Würzburg noch 1749, der Fürstabt von Kempten
im Allgäu noch 1774 je eine Hexe hinrichten lassen; val. Karl Weinhold, die
deutschen Frauen, Bd. 1, 8. 78.
Der erwähnte Kessel in Schwerin zeigt uns ein solches gottesdienstliches, dem
Kelche entsprechendes Gefäß der vorchristlichen Zeit in tadellosem Erhaltungszustand.
Der berühmte Kessel aus Judenburg in Steiermark, jedenfalls keltisch, hat sicher auch
einen gottesdienstlichen Zweck.
Der so stark asiatisch beeinflußten Lehre der römischen Kirche mußte an sich die
germanische Heilighaltung der Frau Widerspruch erregen. „Keine Frau durfte sich
dem christlichen Altar nähern und keinen noch so äußeren Dienst an ihm und für ihn
besorgen. Beim Abendmahl durften die Weiber als unreine Wesen die Hostie nur
mit dem Schleier anfassen, um sie in den Mund zu siecken. So läßt sich begreifen,
daß die deutschen Frauen sich jetzt gern den ketzerischen Sekten anschlossen und hier
für ihre Neigung zur Innerlichkeit, zum Geheimnisvollen und Gottesdienstlichen mehr
Sefriedigung fanden als in der herrschenden Kirche, welche nun gegen das Hexen⸗
wesen einen vielhundertjährigen Kampf führen zu müssen meinte“ (E. Grötzinger,
Keallexikon der deutschen Altertümer, 5. 288).
Der geschichtliche Zusammenhang der Hexenverfolgung mit der Inquisition, der
Uetzerverfolgung, steht fest. In Deutschland war die Inquisition nie recht so zur
Entwicklung gekommen wie in anderen Ländern. Konrad von Marburg, durch
seine rohe Behandlung der hl. Elisabeth bekannt, hatte es versucht und es auch auf
eine gewisse Zahl von Opfern gebracht. Aber er wurde dann noch beizeiten von
hessischen Rittern erschlagen, im Jahre 12533. Innozenz der Achte glaubte das Macht⸗
mittel der Inquisition aber nicht entbehren zu können und beschloß, es in etwas
anderer Weise, als Hexenverfolgung, in Gang zu setzen; unter geschickter Benutzung
bon alten übersinnlichen Vorstellungen, die noch im deutschen Volke lebten. Man
'ann den Deutschen bekanntlich nur sehr schwer im offenen Kampf besiegen, aber sehr
eicht betören. In der Bulle Summis desiderantes vom 5. Dezember 1484 gab
Innozenz der Achte die Losung, die seit etwa 1450 in Frankreich begonnenen Hexen⸗
oerfolgungen auch in Deutschland im Großen und planmäßig einzurichten; er wies
auf das gefährliche Überhandnehmen der Hexerei in Deutschland hin und beauftragte
die Dominikaner Uramer und Sprenger mit der Ausführung; sie gingen ans Werk,
mit Folter und Inquisitionsverfahren. Diese sind bekanntlich auch eine Kultur—
errungenschaft, die dem germanischen Norden erst aus der Mittelmeerwelt aufgezwungen
wurde, ebenso wie der semitische Gedanke des Talion, der gleichen Wiedervergeltung.
Im Hexenprozeß lautete gewöhnlich die erste Frage: Glaubst du an Hexerei und
an die Hexenzusammenkünfte? Sagte die Beschuldigte nein, so war sie schon damit
der Ketzerei schuldig, denn die — damalige — Kirche lehrte ja, daß es Hexen gebe.
Beiahte die Beschuldiate die Frage, so war sie damit auch verdächtig; sie weiß Be—