Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

Sage und Sitte 
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cheid über Hexerei; also hat sie damit zu schaffen. Beide Hexenrichter, Sprenger 
und Kramer, waren Professoren der Theologie. Welche Abwärtsentwicklung des 
Geistes in der Kirche bedeutet die Bulle von 1484 gegenüber der Tatsache, daß ums 
Jahr 780 Karl der Franke, der Große, den mit schwerer Strafe bedrohte, der so dumm 
und ketzerisch sei, an Hexerei zu glauben; daß ums Jahr 1000 Burchard von Worms 
den mit mäßigen Kirchenbußen, wie besonderem Fasten und ähnlichem bedrohte, 
der zauberische Gebräuche mitmachte. 
Damals war die Kirche in Deutschland eben noch germanisch geleitet; die Allein⸗ 
herrschaft des Bischofs von Rom über die christliche Kirche des Abendlandes bereitete 
sich zwar damals schon vor; aber sie war noch längst nicht in dem Maße ausgebildet 
wie später, mit dem äußersten, nicht mehr überbietbaren Höchstpunkte in der Lehre 
von der Unfehlbarkeit des Papstes. Im Mittelalter, also zur Zeit ihrer höchsten Blüte, 
lag das Herz des Christentums keineswegs im Mittelmeerbecken, fondern am Vord⸗ 
seeabhang Europas, wo auch der Brennpunkt des geistigen Lebens und der staat⸗ 
lichen Ordnung war. Um das einzusehen, braucht man nur an die geschichtliche 
Tatsache zu denken, daß in den Jahrhunderten, als das eigentliche Deutschland, 
das Herzland Europas, christlich gemacht wurde, der größte Teil des Mittelmeer⸗ 
beckens ja dem Christentum wieder verloren ging, an den Islam. 
Es ist geschichtsnachträgliche Geschichtsklitterung, wenn man Rom, „die alte 
Heidin“, wie der gut katholische Joh. Vep. Sepp vom kirchlichen Rom schreibt, als 
einen Mittelpunkt des Christentums ansieht. Rom ist durch die unausrottbar an 
diesem Orte haftende Überlieferung der Weltherrschaft und durch die Päpste zwar 
zum politischen Mittelpunkt, zum Ausgangspunkt der machtstaatlichen Bestrebungen 
der Kirche geworden. Aber diese waren an sich schon ein Abfall vom Christentum; 
denn sein Stifter hat gesagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, sondern in den 
Gemütern; Rom und Christentum sind vielmehr Gegensätze. Die Kirche mußte not⸗ 
wendig in Rom verweltlichen; zu einer bloßen Machtordnung, statt einen Gesinnungs⸗ 
gemeinschaft, werden. 
Bemerkenswert an den Hexenverfolgungen ist, daß sie wie schon erwähnt, in den 
geistlichen Gebieten am schauerlichsten gewütet haben, daß dagegen die größeren 
weltlichen Fürstentümer, besonders das Herzogtum Württemberg, und die größeren 
Keichsstädte, sich besser gehalten haben, als die ritterschaftlichen Gebiete und die 
leineren Reichsstädte; daß die aristokratisch regierten Kantone der Schweiz wesent⸗ 
lich vernünftiger waren als die demokratischen iebe Carl Maver, Der Aberalaube 
des Mittelalters, 1884). 168) 
O. Böckel, Die deutsche Volkssage, berichtet von Schlachtfeld⸗ 
agen, die rein als Sagen galten und bei denen später der Spaten 
erwiesen hat, daß die Volkssage tatsächlich eine Kunde von Vor— 
gängen erhalten hatte, die der Geschichte völlig verloren gegangen 
waren. „Am Odlisberg im Aargau öffnete man 1835 einen Bügel, 
von dem die Sage ging, daß dort Geisterscharen kämpften, und fand 
darin Gerippe und schwarze Asche, offenbar Überreste von Ge— 
X 
n) Grimm und, Lachmann glaubten, daß der Hexenwahn im wesentlichen 
nordischen Ursprungs sei. Das hat sich aber als unrichtig herausgestellt; vgl. B. 
B. Schindler, Der Aberglaube des Mittelalters, 8. 319 ff.: „Das Hexenwesen hat 
sich nicht von Norden nach Süden, sondern von Süden nach Norden verbreitet ... 
alle Einzelheiten des Hexenwesens waren bereits in der römischen Kirche bekannt, 
ehe von der Bekehrung Deutschlands, besonders des nördlichen. die Rede war“
	        
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