Sage und Sitte
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Südwestlich Gerbstedt im Mansfeldischen steht, in der Nähe
des Welfesholzes, der „Hoyerstein, ein Kohlensandstein, nur etwa
zweidrittel Meter hoch, einen Meter breit, ein drittel Meter dick.
Er hat zahlreiche Vertiefungen; seine ganze Oberfläche ist voll
Nägel geschlagen; der Stein hatte ein CLoch, das für den Eindruck
der Hhand des Grafen Hoyer von Mansfeld gehalten wurde“
svgl. Götze⸗Höfer, Vor⸗ und frühgeschichtliche Altertümer Thü—
ringens, s. 27). Daß die Glieder eines Gottes oder bevorzugten
Helden sich im Felsen abdrücken, ist ein uralter wiederkehrender
Sagenzug; ebenso das Benageln des geweihten Strunks. Am
Graben in Wien steht der berühmte Stock im Eisen, das alte
handwerksburschenwahrzeichen Wiens. Man darf hier an eine
sehr alte Überlieferung glauben; auch ohne daß man die weit—
gehenden Behauptungen und Gedankengespinste Guido von CLists
anzunehmen braucht.160)
Nachdem sie am Welfesholze im Jahre 114 über den frän—
kischen König gesiegt hatten, hatten die Sachsen einen starken Rück—
fall in ihren alten Götterglauben, den ihnen der Franke mit Waffen—
gewalt genommen hatte; sie errichteten, wie Heinrich von Herford
berichtet, den Thiodute oder Tiodut, das Bild eines Kriegers
mit dem Schwerte auf einer Säule. Dieses Steinmal war damals
ganz sicher noch ein unmittelbarer Nachkomme der Irmensul, die
die Sachsen im Jahre 531 nach ihrem Sieg über die Thüringer
errichteten und der Irmensul von der Eresburg, dem sächsischen
Volksheiligtum, das Karl der Franke im Jahre 772 zerstörte.
Ich habe den Hoyerstein am Welfesholze nicht selbst gesehen; ich
weiß nicht, ob der Stein sehr alt sein kann. Aber das ist gar nicht
ausschlaggebend. Die Überlieferung mit dem Handeindruck des
Grafen Hoyer, mit den eingeschlagenen Nägeln ist sicher alt und
in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Thiodute von 114.
Die dortige Bevölkerung, die den Stein durch die Sage von dem
handeindruck in Verbindung bringt mit dem Grafen Hoyer und der
Schlacht am Welfesholze, war tatsächlich gut unterrichtet; sie hätte
der Wissenschaft, als diese einen Zusammenhang zwischen Irmensul,
io) Ich weiß nicht, wer zuerst auf den Gedanken gekommen ist nach Kriegs—
ausbruch, diese genagelten Male zu errichten. Es muß ein in der Vergangenheit
seines Volks gut unterrichteter Mann gewesen sein. Die Engländer sind auch glatt
darauf eingeschnappt und berichteten in ihren Zeitungen, die Deutschen seien in das
Heidentum zurück verfallen und errichteten heidnische Standbilder. Am letzten Ende,
freilich nur in den untersten Tiefen der unbewußten Erinnerung, mag auch die alte
deutsche Vorliebe für das hohe Steinmal, — für den Menhir, die Irmensul, den
Thiodute, die Rolandsäule, den gotischen Kirchturm — noch ein wenig dabei im
Spiel gewesen sein. (VOgl. oben Abschnitt 6)
Juna, Germanische Götter und Belden—