Die heraldische Lilie
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27. Die heraldische Lilie oder die dreiflammige Kerze.
Nẽe dem Kreuzeszeichen und selbstverständlich im großen Ab—
stand hinter diesem, aber doch soweit ich sehe gleich hinter ihm
und sowohl an Feierlichkeit der Verwendung als auch an Umfang
des Vorkommens weit vor den andern sinnbildlichen und irgendwie
mit Weihe oder Zauber zusammenhängenden Seichen, die das
Mittelalter kannte, steht das Zeichen der heraldischen Lilie oder
dreiflammigen Kerze.
Wir beschäftigen uns hier nicht mit ihrer heraldischen Ver—
wendung. Diese kann naturgemäß nicht älter sein als das Auf—
kommen der Wappen selbst, das jetzt in die Mitte des 12. Jahr—
hunderts gesetzt wird. Die Zusammenhänge, denen diese Schrift
nachgeht, gehen aber weiter in die Vergangenheit unseres Volks
zurück. Tatsächlich ist aber auch die Verwendung der Lilie oder
dreiflammigen Kerze, wie ich sie lieber nennen möchte, älter und
aicht auf die Heroldskunst beschränkt. Als die Sitte der Wappen
aufkam — ob sie wirklich verhältnismäßig so plötzlich und spät
aufkam, wie man heute meint, bleibe dahingestellt 16003 — begreif—
licherweise die Zeichen mit Vorliebe aus dem vorhandenen Bestande
an Bildern und Formen gewählt.
Daß viele der alten heraldischen Seichen eine bestimmte sinn—
bildliche Bedeutung hatten, ist sicher: und es ist sehr wahrschein—
lich, daß diese eben doch für sehr wichtig gehaltenen Dinge auch
mit dem wichtigsten Teil des menschlichen Geisteslebens, mit dem
alten Volksglauben, zusammenhingen. Aber freilich sind die dahin
führenden Wege lange verschüttet. Es läßt sich übrigens der Zeit—
punkt noch feststellen, zu dem dies ganz bewußt geschah. Die heutige
heraldische Lehre pflegt diese Wendung sogar als den großen Fort—
schritt zu preisen, den die neuere Zeit, bei uns etwa der Heraldiker
Spener um die Wende des 17. Jahrhunderts, gebracht habe. Die
frühere Heroldskunst habe sich hauptsächlich mit geheimnisvollen
Deutungen der heraldischen Zeichen aus Glaubenslehre und Aber—
glauben befaßt; Aberglaube nennt bekamtlich die jeweils herrschende
Glaubenslehre stets alles, was der älteren, besiegten Glaubensform
angehört. Die neuere heraldische CLehre habe erst eine wissenschaft—
liche Behandlung dieser Dinge nach ihren geschichtlichen Grund—
iso a) In der Altbaperischen Monatsschrift, Jahrg. s Heft z, wird berichtet von
„einem hervorragenden Fund aus der Reihengräberzeit“; dabei ist ein Schildbuckel
gefunden worden, verziert mit dem Dreibogen aus vergoldetem Kupferblech; ferner
vier kleine Beschläge gleichen Stoffs, zwei Adler und zwei Löwen, die anscheinend
als Zierrat auf dem Schilde gesessen haben, also ganz heraldisch verwendet waren.