Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

Ausblicke 
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tung ist vielnehr nur der Ausdruck der Tatsache, daß das deutsche 
Kulturziel, das deutsche Gewissen, der deutsche Kunstgeschmack eine 
besondere völkische Art haben, wie die anderer Völker auch; und 
daß nur diejenige Form der geschichtlichen Betrachtung hoffen darf, 
einen Zusammenhang in der Erscheinungen Flucht und eine Ord⸗ 
nung oder Entwickelungsrichtung zu finden, die dieses besonders 
gestimmte Entwickelungsstreben kennt und zum Faden nimmt. 
Der tiefste Gegensatz der europäischen Rulturgeschichte ist der 
zwischen der vorchristlichen hellenistisch-semitischen Mittelmeerwelt 
und der nachchristlichen germanischen Nordseewelt. Es war schon 
darauf hinzuweisen, daß sich die damit bezeichneten Kulturkreise 
nach ihren völkischen Trägern, nach Zeit und Schauplatz auf der 
Erde — ogl. sofort die von Peezsche Unterscheidung der Wasser⸗ 
scheide Europas — deutlich unterscheiden lassen. Es ist natürlich 
sehr viel schwieriger, in ähnlicher Weise auch das verschiedene 
Uulturziel oder die grundlegende Bejahung für beide Gesittungs- 
formen grundsätzlich zu bestimmen. Sören Kierkegaard hat einmal 
gesagt, die antike Kultur sei wesentlich ästhetisch, die germanisch⸗ 
christliche wesentlich ethisch gerichtet. Das scheint mir im wesent⸗ 
lichen richtig und ein großartig zusammenfassender Gesichtspunkt 
zu sein. Man kann sich auch so ausdrücken: die antike Kultur 
var eine Kultur der Sinne, die christlich-germanische 
eine Kultur der Gesinnung; etwas anders ausgedrückt: „daß 
die tiefsten Bedürfnisse in Deutschland nie ästhetischer sondern stets 
religiösser Natur waren“ (Max Sauerlandt, Die deutsche Plastik 
des Mittelalters, 5. 16). Freilich ist damit auch die höchste künst— 
lerische Schöpferkraft gegeben, wenn einmal die ganze Persönlich⸗ 
keit, d. h. das Religiöse im Menschen sich auf künstlerische Schöp⸗ 
fung zusammenfaßt; die Menschen sind nur solange schöpferisch, 
als sie religiös sind, sagt Goethe einmal. Wenn jene Unterscheidung 
richtig ist, so ließe sich damit das verschiedene Höchstziel der beiden 
Uultuüren, das tatsächlich, wenn auch vielfach nur triebhaft und 
unbewußt, allem Kulturstreben zugrunde liegt, verhältnismäßig 
einfach umschreiben; freilich leichter nach der andern, verneinenden 
Seite; nämlich was als das größte Übel betrachtet und am eifrigsten 
vermieden wird. Ebenso wie man (Grotius, Schopenhauer) richtig 
gesagt hat, daß das Unrecht die eigentliche gesellschaftliche Er— 
scheinungsform ist, in der das Recht (gleich Abwehr von Unrecht) 
für die Erfahrung auftritt. Das größte Übel wäre für die antike 
Kultur ein unangenehmer Sinneseindruck; für die germanischechrist⸗ 
liche ein Opfer an der Gesinnung oder auch das Nicht-Einssein mit 
sich selbst, der Selbstvorwurf. Sie fürchtete, sagt Pierre Bevle—
	        
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