Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

Ausblicke 
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zehen, ab, küßt ihn noch einmal und geht in das brennende Haus, 
um ihrer Pflicht als Gattin zu genügen und mitzusterben, nachdem 
sie getan, was sie als Tochter und Schwester hatte tun müssen“ 
Wie unvergleichlich überlegen ist jene Brünhilde dem Weibchen 
helena, das wie eine schöne Sklavin dem folgt, der es gerade raubt. 
Wie überlegen übrigens auch als Gestaltung des Sängers, in der 
Nachfühlung dieser ihrer seelischen Kämpfe, ist diese Brünhilde, 
die nur dem stärksten Helden gehören wollte und dann diesen 
töten läßt, den sie so liebt, mit ihren verfeinerten, man möchte 
fast sagen, überfeinerten Ehrbegriffen der Helena, von der uns 
der Dichter im Grunde nur Rörperliches berichtet. 
Man kann entsprechende Neigungen in der deutschen Kunst— 
geschichte feststellen; nämlich daß vor allem die inneren, die 
seelischen Vorgänge den Künstler beschäftigen und zur Gestaltung 
anregen. Ernst Heidrich, Altdeutsche Malerei, 5. 36, schreibt über 
Dürer: „In den späteren Jahren Dürers hebt sich immer deut— 
licher als das Wesentlichste seiner Kunst die Darstellung des Men— 
schen heraus; aller Renaissance entgegengesetzt nicht als Gestalt, 
als Ideal der vollendeten Form, sondern verstanden als geistige 
Potenz, als Charakter. Überall schlägt durch das ästhetische Ver— 
halten der ethische Akzent hindurch; der Wahrheit zugleich und der 
Willensgröße und der Furchtlosigkeit des Sinnes“ 
Es wurden oben in dem Abschnitt Gottesurteile die Gestalten 
des Naumburger Domchors erwähnt; in diesen, vor allem in der 
Uta von Meißen, sind seelische Vorgänge mit einer künstlerischen 
Vollendung gestaltet, die von der Runst keiner Zeit und keines 
Volks je übertroffen wurde. Ja man möchte fast sagen, daß die 
Grenzen der bildenden Kunst damit schon überschritten werden; mit 
diesem rücksichtslosen Ausgehen auf das Seelische, das doch im 
Grunde nur in reiner Ausdruckskunst und nicht in darstellender, 
nachahmender Runst restlos gestaltet werden kann. In der Stutt— 
zarter Staatssammlung steht die wunderbare Mutter Gottes aus 
Murrhardt; mit einem verinnerlichten, verhaltenen Ausdruck des 
Schmerzes von einer erschütternden Eindrucksgewalt. Wie hoch 
überlegen an künstlerischer Kraft ist diese Mutter Gottes der vor 
allem als schönes Weib sich mit anmutigender Geste darstellenden 
Schmerzensmutter Niobe aus der berühmten Giebelgruppe des 
Skopas. 
Karl Scheffler sagt einmal sehr gut, in einer Betrachtung über 
die Gotik, die antike Kunst stelle einen Ruhezustand dar, die nordische 
Kunst einen Zustand seelischer Erregung.
	        
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