Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

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Ausblicke 
Den germanischen Dichter beschäftigt und reizt der innere 
Kampf der Helden, das Wirken von Ehre und Gewissen. Homer 
dagegen schildert die Kämpfe rein darstellend; er kümmert sich 
ganz merkwürdig wenig um die innere, seelische Begründung. Ein 
achtiähriger deutscher Junge sagte zu seinem Vater, der ihm aus 
Homer vorgelesen hatte, „es ärgert mich doch gar zu sehr, daß 
da immer, wenn die braven Helden kämpfen, ein Gott kommt 
und dem einen die Waffe aus der Hand schlägt oder sonst was 
macht, damit der andere siegt“. Also den deutschen Jungen be— 
friedigte die bloße Schilderung der Kämpfe nicht; er will seelisch 
teilnehmen und ist durch diese bloße Zufälligkeit des Sieges un— 
bdefriedigt. 
Goethe berichtet einmal an Carlyle von „unseren deutschen 
ethisch⸗ästhetischen Bestrebungen“. Carlyle selbst nennt er eine 
moralische Kraft und bezeichnet sicher damit sehr treffend das Wesen 
Carlyles; übrigens liegt es vielleicht mehr so, daß Carlyle ein 
sehr heißes Streben nach einer rein heldischen Lebensauffassung 
hatte, als daß er selbst eine heldische Natur gewesen wäre. Carlyle 
wird seinerseits, trotz aller seiner unbegrenzten Verehrung für 
Goethe, geradezu ungeduldig, wenn er, etwa in Goethes Briefen 
an Schiller, auf die Wichtigkeit stößt, mit der Goethe Schauspielfragen 
und ähnliche einzelne und kleine Geschmacksdinge behandelt. Man 
kann vielleicht sagen, es war der Fluch der deutschen Rulturent— 
wicklung, daß der größte und umfassendste Geist, den Deutschland 
bisher erzeugt hat, so stark von mittelmeerländischer Überlieferung 
beeinflußt war; daß Goethes, wie er sagt, ethisches Bestreben, 
anders ausgedrückt seine Richtung auf eine nordische oder Ge— 
sinnungskultur, so stark durch die mittelmeerländische Überlieferung 
der ausschließlich künstlerischen oder Geschmackskultur beeinflußt 
war. Jene ethische, gewissensbestimmte Richtung war an sich sehr 
stark in ihm. Er ist uns vielleicht schon heute mehr geistiger Führer, 
wie rein Rünstler. Als Rünstler ist ihm, nach seiner eigenen Aus— 
sage, Shakespeare unzweifelhaft überlegen. Shakespeares dreihundert— 
jährigen Todestag zu feiern, sollten die Engländer doch den Deut— 
schen überlassen, denen er allein noch lebendig sei, schreibt Bern— 
hard Shaw mitten im Weltkrieg. Shaw ist freilich von Abstam— 
mung irischer Jude und haßt im Grunde seines Herzens, wie der 
walisische Jude Lloyd George, den Geist des alten England, des 
sächsischen Englands, den „Geist des Abendlandes“. Sie könnten 
sich übrigens beruhigen; der Geist des Abendlandes ist in England 
längst am Sterben; seit dem erfolgreichen Keltenaufstand, der 1640 
und 1688, durch die Einführung der Parlamentsherrschaft und 
damit der Geldherrschaft, sich vollzogen hat.
	        
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