74 Der Schwertgott und der Fenriswolf
herabgemenschelt wird; von dem Augenblick ab, wo neben die alten
reinen Sinnbilder, — wie den siegreichen Kampf des Sonnenjünglings
mit dem Winter, seine Niederlage gegen die wiederkommenden
Winterriesen im Herbst — sich nun die menschenähnlichen Gestalten
stellen; wenn die Spaltung der ursprünglichen einen Gottheit nach
ihren verschiedenen Eigenschaften eintritt; in einzelne getrennte
Träger mit menschlichen Besonderheiten und menschlichen Schwächen.
Von diesem Augenblicke der Entartung oder Herabmenschelung des
Gottesbegriffs an ähnelt die Göttersage der Heldensage; d. h. sie
knüpft an menschliche Vorgänge und damit an geschichtliche Tatsachen
an. Es sei gestattet, hier eine sagengeschichtliche Vermutung zu äußern,
wenn sie auch etwas gewagt ist. Die Vorstellung von dem ein—
armigen Schwert- und Kriegsgott ist doch sicher zunächst befremd—
lich, da ein Kämpfer wahrlich doch seine zwei Hände braucht.
Diese Vorstellung verlangt nach einer besonderen Erklärung, wie sie
die Einäugigkeit Wodans in dem einen Himmelsauge, der einzigen
Sonne, findet. Sollte nicht die Vorstellung von dem einarmigen
Schwertgott anknüpfen an eine besonders beeindruckende geschicht—
liche Gestalt der Frühzeit, an irgendeinen zu seiner Zeit berühmten
Krieger, den selbst der Verlust des einen Armes, den er in einem
früheren Kampfe erfahren hat, nicht abhielt, auf neue Kriegs-
gefahren auszuziehen.
Auch die keltische Volkssage kennt eine solche Gestalt, den König
Nuada, der in der Schlacht die rechte Hand verloren hat und der
dafür eine silberne Hand erhält (E. Windisch, Das keltische Britan—
nien. 5. 117).
Sicherlich kann solche Unverwüstlichkeit oder solcher „Opfersinn“
die Gemüter stark beeindrucken. An der deutschen Front gegen Ruß—
land stand der einarmige General H., er hatte einen Adjutanten,
einen jungen Gelehrten H. aus T., der ebenfalls im Weltkriege
einen Arm verloren hatte und trotzdem in der Front geblieben war.
Die Feinde hatten davon erfahren. Nach Eintritt des Waffenstill—
standes baten die gegenüberstehenden Russen, die beiden Herren
möchten doch einmal herüberkommen, sie möchten diese Männer
gerne einmal kennen lernen und ihnen ihre Verehrung ausdrücken.
Im Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift für Ge—
schichte und Kunst, 1889, 5. 188, ist eine Schwertscheide beschrieben,
die in Gutenstein in Baden, an der Hohenzollernschen Grenze, ge—
funden wurde und jetzt in Berlin im Völkerkundemuseum aufbewahrt
wird. Naue datiert im Verein mit Lindenschmit die Scheide in
das achte Jahrhundert: die Verwaltung des Völkerkundemuseums