Rolandssäule, Irmensul
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UÜberlieferung bisher finden konnten. Die Beamten der Römischen
Kirche hatten sich berufsmäßig mit diesen von ihnen zu bekämpfenden
Volksvorstellungen aus vorchristlicher Zeit zu befassen. Sie werden in
ihren Berichten nicht die sonst zweckmäßige Behandlungsart des Ver—
schweigens geübt haben. Die einzige deutsche Abschwörungsformel,
die uns an Stelle der üblichen allgemeinen Formel von Unholden
oder Dämonen bestimmte Götternamen überliefert — vorsagistu
Thunar ende Wodan end Saxnote (vgl. unten Abschnitt 12) —, ist
in der vatikanischen Bücherei gefunden worden.
In Obermarsberg findet sich noch ein weiteres eigentümliches
Denkmal. Man wird es zunächst als einen Kak, einen Pranger an—
sprechen. Auf einer breiteren Säule, die etwa dem Anfang des sieb—
zehnten Jahrhunderts entstammen mag, erhebt sich eine erheblich
schlankere, steinerne Rundsäule, ohne Ropfstück, mit eisernen Bän—
dern und Riegeln, vielfach geflickt. Zwischen beiden Säulen liegt ein
schmiedeeiserner Rost mit Geländer. Einen Zugang hat dieser Rost
nicht, dessen sehr weite Bändermaschen auch nur sehr wenig geeignet
sind, daß jemand darauf stehe; Einrichtungen zum Fesseln von Hän—
den und Hals wie andere Pranger hat dieser Obermarsberger Kak
nicht. Ich möchte die Vermutung aussprechen, freilich nur als Ver—
mutung, daß dieses merkwürdige Denkmal kein Pranger ist, sondern
daß die zäh am Alten hängenden Westfalen diese Form wählten,
um die obere Steinsäule, die ihnen durch uralte Überlieferung heilig
war und die sie deshalb durch viele Jahrhunderte sorgfältig flickten,
wenn sie baufällig geworden war, gegen die Verfolgungen der Be—
hörden zu schützen; mit anderen Worten, ich vermute, daß diese
Steinsäule ebenfalls, wie der Roland von Obermarsberg, eine Er—
innerung an die Irmensul ist.b7)
Dieses westfälische Süderland, Sauerland, wird noch spät als
eine Hochburg heidnischer Vorstellungen bezeichnet. Waldbraht, der
Stifter des Klosters Wildeshausen, bat in Rom inständig um Heil—
ümer in Gestalt von Heiligenüberresten, weil seine Landsleute noch
mehr in heidnischer Verblendung befangen als christlichem Glauben
ergeben seien. Der Kölner Erzbischof beklagt 1270, daß die Güter des
Soester Patroklusstifts inmitten eines so verderbten und widerhaarigen
59) In den deutschen Geschichtsblättern von Armin Tille, Bd. II, 1901, gibt
G. Sello, der Sonderforscher über diesen Gegenstand, eine sehr gründliche und
umfangreiche Übersicht über die Literatur der Rolandbildsäulen. Sello gibt dort (S. 48)
iltere Berichte, von 1684 und 1718, von Obermarsberg; diese erzählen von einer
zweiten Säule, außer dem Rolandbild. In der Stadt Brakel sei ebenfalls die Staup⸗
äule für eine Rolandsäule gehalten worden. Das Gemeinsame beider ist eben die
BSeziehung zur Bandhabung der Rechtspflege.