Full text: Geist und Antlitz der Renaissance

Die politischen Zustände in Deutschland im 14. und 15. Jahrhundert zeigen ein so schwer 
zu übersehendes Bild wie zu keiner anderen Zeit. Deutschland war ein Wahlkönigtum. 
Das Verfahren der Wahl hatte von Anbeginn den Dachteil, daß Schwierigkeiten ent— 
stehen mußten, wenn nicht eine überragende Persönlichkeit und eine überragende Macht 
vorhanden war, weil jeder Bewerber um die Krone durch Werbung von Stimmen 
und Versprechungen die Majorität auf seine Seite zu ziehen suchte. Jeder König war 
aach erfolgter Wahl bemüht, seine Hausmacht zu befestigen und zu stärken, während die 
anderen Fürsten ein Interesse daran hatten, die Macht des Oberhauptes so niedrig 
wie möglich zu halten, um selbst in ihren Ländern souverän zu werden. Oabei lagen sie 
ständig auch miteinander in Fehde. 
Die Unsicherheit der politischen Zustände hat jahrhundertelang gedauert. Die Dinge 
schienen eine günstige Wendung zu nehmen, als drei Kaiser aus dem Hause Habsburg 
in ununterbrochener Folge die Weltmacht ihres Hauses begründeten: Albrecht II., 
Friedrich III. und Maximilian J. 
Maximilian (14951519 hat sich auf vielen Gebieten um Reformen bemüht, aber bei 
seinem Tode 1519 erreichte die Verworrenheit der Lage einen neuen Höhepunkt. Kein 
deutscher Fürst war gewillt oder in der Lage, die Führung zu übernehmen. Nach lang— 
vierigen beschämenden Bestechungsverhandlungen wurde ein Enkel Maximilians, der 
Spanier Karl V., der nicht einmal deutsch sprach, zum deutschen Kaiser gewählt; sein 
Segenkandidat war Franz J., König von Frankreich. 
zndessen hatten die Städte in Oeutschland mehr und mehr an Bedeutung gewonnen. 
Die unglückseligen politischen Verhältnisse waren für sie zum Anlaß geworden, sich zu— 
sammenzuschließen. So entstanden der Schwäbische und der Rheinische Bund, der 
hHansabund und der Bund der Eidgenossen. 
Dank der Tätigkeit der Hanse erstreckte sich der deutsche Einfluß außerhalb der Reichs- 
zrenzen nicht allein auf den Ostseehandel, auf die Küstenländer, Livland und Schweden, 
sondern dehnte sich ständig weiter in das große Hinterland, Rußland, Polen und Galizien 
aus. In Krakau und Lemberg ist damals vor Gericht deutsch verhandelt worden und 
selbst in den Kirchen wurde in deutscher Sprache gepredigt. In einzelnen Hansestädten 
hatten sich bedeutende Kapitalien angesammelt, und um 18500 hatte das Haus 
der Fugger in Augsburg auf dem internationalen Geldmarkt eine führende Rolle. 
Waren die Städte auf den Reichstagen im 14. Jahrhundert nur vereinzelt vertreten, 
so waren im 15. Jahrhundert ihre Beauftragten bereits ständig zugegen. 
Die Bevölkerungszahl in den deutschen Städten war in ständigem Wachsen begriffen, 
Industrie und Handel blühten mehr und mehr auf, und das zu Ansehen und Wohlstand 
gekommene Bürgertum war allmählich herangereift, die Führung in allen kulturellen 
Dingen zu übernehmen. 
Der gewaltige Einfluß, den die Kirche zur Zeit der Gotik auf das Wesen der Menschen 
gehabt hatte, war im Schwinden begriffen. Selbst innerhalb der Kirche war man nicht 
darüber in Zweifel, daß sich vieles überlebt hatte und reformbedürftig war.
	        
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