352 XI. Die chemische Verwandtschaft.
Da die Zerlegung des Acetamids durch Säuren eine Reaktion zweiter
Ordnung ist, entsprechend z. B. der Gleichung
CH. CONH? + H’0O +HCl=NH*‘C1+ CH°COOH,
wobei gleichzeitig äquivalente Mengen des Acetamids und der Säure ver-
schwinden,!) so gilt für sie die früher abgeleitete Gleichung (S. 294)
X
AI = ALC.S,
wo 4 die Zeit ist, wenn, wie stets bei den Versuchen geschah, äquivaleute
Mengen der beiden Komponenten angewendet werden. Es findet auch in
einzelnen Fällen eine gute Übereinstimmung des theoretischen Reaktions-
verlaufes mit der Erfahrung statt. Diese Übereinstimmung ist indessen
keine allgemeine, weil der Vorgang nicht frei von Nebenreaktionen ver-
läuft. Insbesondere wirkt das sich allmählich bildende Neutralsalz in cha-
rakteristischer Weise, indem es, wie bei den Versuchen mit Schwefel-
zink und Calciumoxalat nach Massgabe seiner Menge die Wirkung der
freien Säuren vom Charakter der Chlorwasserstoff- und Salpetersäure er-
höht. Aus später zu besprechenden Versuchen geht hervor, dass schwache
Säuren umgekehrt durch ihre Neutralsalze eine Schwächung erfahren, die
um so beträchtlicher ausfällt, je schwächer die Säure ist. Somit wird bei
den Versuchen mit starken Säuren während der Reaktion der Geschwindig-
keitskoeffizient nicht konstant sein, sondern mit der Zeit zunehmen; bei
schwachen Säuren wird er umgekehrt einen abnehmenden Verlauf zeigen,
und nur bei Säuren mittlerer Stärke, speziell bei der Trichloressigsäure ist
diese Wirkung so gering, dass der Umwandlungsvorgang der einfachen An-
nahme des konstanten Geschwindigkeitskoeffizienten gemäss verläuft.
Um zunächst einen von Willkür freien Vergleich der verschie-
denen Werte zu ermöglichen, wurde die Zeit berechnet, nach welcher
die Reaktion gerade zur Hälfte vorgeschritten war. Alsdann ist
SS = Acd oder c =
Wegen der oben besprochenen Nebenwirkungen liefern die Rezipro-
ken der Zeiten halbvollendeter Umsetzung allerdings nicht die wahren Re-
aktionsgeschwindigkeiten, sondern diese liessen sich erst ermitteln, wenn
entsprechend kompliziertere Reaktionsgleichungen aufgestellt, und die in
diesen auftretenden neuen Koeffizienten bestimmt würden. Dazu fehlt zur
Zeit noch das empirische Material. Da indessen die aus der Teilung einer
Basis zwischen zwei Säuren, sowie aus der Zerlegung unlöslicher Salze er-
haltenen relativen Affinitäten durch ganz ähnliche Nebenumstände in dem-
selben Sinne beeinflusst werden, so wird, wenn auch keine Identität, so
doch eine Analogie der entsprechenden Zahlenreihen zu erwarten sein.
') Die gleichzeitig entstehende Essigsäure übt eine verschwindend
kleine Wirkung aus,