Elektrochemische Beziehungen.
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Viertes Kapitel.
Elektrochemische Beziehungen.
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Die vorstehend geschilderten Ergebnisse der Untersuchungen über
die chemische Verwandtschaft, welche sich in dem Ergebnis zusammen-
fassen lassen, dass die Wirkungen dieser Kraft durch be-
stimmte, den wirkenden Stoffen angehörige und von der
Natur des Vorganges unabhängige Koeffizienten geregelt
werden, haben zunächst einen rein empirischen Charakter. Es ist
in ihnen kein Umstand enthalten, welcher zu irgend einer Vorstellung
über die Ursache eines derartigen Gesetzes führt. Unzweifelhaft kann
man sagen, dass eine und dieselbe Ursache diesen Erscheinungen zu
Grunde liegen und sie quantitativ bestimmen muss; welcher Natur
aber die Ursache ist, und welche Verhältnisse die Reaktionsfähigkeit
der verschiedenen Stoffe, Säuren und Basen, bedingen, bleibt unbekannt.
Die Aufklärung ist hier auf einem Wege gekommen, welcher der
neueren Entwicklung der Chemie ziemlich fern lag. Nachdem die von
Berzelius eingeführten elektrochemischen Anschauungen, welche von
diesem aus falschen Deutungen seiner Versuche entwickelt und nur
zu Zwecken der Systematik verwertet wurden, gefallen waren, liess
man in der Chemie die unzweifelhaft vorhandenen engen Beziehungen
zwischen chemischen und elektrischen Erscheinungen ganz ausser Be-
tracht. Gegenwärtig erweisen sich zum zweiten Male diese Bezieh-
ungen als grundlegend, und zwar für das höchste wissenschaftliche
Problem der Chemie, für die Frage nach den Gesetzen der chemischen
Verwandtschaft.
Die erste Andeutung dieser neuen Ideenreihe findet sich bei Hittorf,
welcher darauf hinwies, dass in der Leitfähigkeit der elektrolytischen Stoffe
zich die Beweglichkeit ihrer Bestandteile, d. h. ihre Fähigkeit, Reaktionen
auszuüben, offenbare. Hierzu kommen andererseits die von Williamson und
Clausius eingeführten Anschauungen, dass die chemischen Gleichgewichts-
zustände stationäre seien, d. h. nicht Ruhezustände, sondern solcher glei-
cher und entgegengesetzter Umwandlungen. Indessen waren diese Ideen
wesentlich qualitativer Natur. Feste und zahlenmässige Beziehungen zwi-
schen den elektrischen und chemischen Eigenschaften wurden erst von
8. Arrhenius (1884) aufgestellt.
Es ist oben mehrfach gezeigt worden, dass eine Reihe sehr ver-
schiedener Erscheinungsgebiete, insbesondere die Abweichungen der
Salzlösungen von den allgemeinen Lösungsgesetzen, sowie die Erschei-
nungen der Elektrizitätsleitung in Elektrolyten durch die Annahme,
dass die Salze und ähnlichen Stoffe in ihren wässerigen Lösungen in
Ionen dissociiert sind, ihre gemeinsame Erklärung findet. Eine gleiche
Erklärung finden die oben empirisch erlangten Gesetze der chemischen