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Stöchiometrie
wo Kopp seinen Satz aufstellte, noch nicht bekannten Konstitutions-
verschiedenheiten isomerer Stoffe von gleicher chemischer Funktion,
wie sie bei primären, sekundären und tertiären Alkoholen und Säuren,
den sogenannten Stellungsisomeren unter den Benzolabkömmlingen usw.
sich zeigen, jedesmal Verschiedenheiten der Siedepunkte bedingen.
Zwar sind auch hier die Verschiedenheiten gesetzmäßiger Natur, in-
dem im allgemeinen primäre Alkohole höher sieden, als sekundäre, und
diese höher, als die tertiären, oder in der anderen Gruppe die Paraver-
bindungen höher zu sieden pflegen, als die Ortho- und Metaverbin-
dungen. Doch sind derartige Regelmäßigkeiten noch zu beschränkten
Charakters und nicht frei von Ausnahmen, so daß ihre Andeutung
hier genügen muß.
Die Chemie besitzt für die Tatsache, daß es Stoffe von gleicher Zu-
sammensetzung aber verschiedenen Eigenschaften gibt, den Ausdruck,
daß deren Konstitution verschieden sei; deshalb sind entsprechende
Verschiedenheiten der Eigenschaften auch als konstitutive bezeichnet
worden. Gewöhnlich veranschaulicht man sich diese Verschiedenheit
durch verschiedene Anordnung der Atome, aus denen sich der Stoff
aufbaut. Da aber diese Vorstellung hypothetisch ist, so muß man nach
einem hypothesenfreien Begriff fragen, der die Tatsache ausdrückt.
Diesen findet man in dem Umstande, daß ohne Ausnahme solche
gleich zusammengesetzten Stoffe von verschiedenen Eigenschaften einen
nach Art und Menge verschiedenen Energieinhalt besitzen, und sich
deshalb in verschiedener Weise verhalten, wenn sie (mit oder ohne
Mitwirkung anderer Stoffe) irgend welche Umwandlungen erfahren.
Man verbindet daher am besten mit dem Begriffe der Konstitution
den des Energieinhaltes; daneben kann man zur kurzen Darstellung
der chemischen Beziehungen noch von der sehr ausgebildeten Formel-
sprache Gebrauch machen, in der die heutige Chemie diese versinn-
licht; denn die Bedeutung der Struktur- und räumlichen Formeln ist
keine andere, als daß sie zur übersichtlichen Darstellung chemischer
JImwandlungen und Reaktionen dienen.
Wie auch an dem vorliegenden Falle ersichtlich ist, verbinden sich
additive und konstitutive Eigenschaften miteinander, so daß bei sich
chemisch ähnlich verhaltenden Stoffen die Werte der Eigenschaft ad-
ditive Beschaffenheit annehmen, welche verschwindet, wenn man ferner-
stehende Stoffe vergleicht. Ein besonderer Fall dieses Gesetzes ist,
daß die Eigenschaften gleich zusammengesetzter oder isomerer Stoffe
sich um so näher stehen, je ähnlicher ihre Konstitution ist. Es
gehen mit anderen Worten die Zahlenwerte der physika-
lischen Eigenschaften der Stoffe. mit ihren chemischen Be-
ziehungen parallel. .
Wiewohl für solche chemische Ähnlichkeit noch kein zahlenmäßiger
Ausdruck gefunden ist, so hat doch dieser Satz trotz seiner unbestimmten
Fassung viele und nützliche Anwendung gefunden. Insbesondere liefert