Chemische Kinetik
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Die früher angegebenen Regeln finden sich auch hier im allgemeinen
bestätigt. Bemerkenswert ist, daß, während die drei isomeren Kresole,
CH;C;H, OH, gleiche Verbrennungswärmen haben, das metamere Anisol,
C;H,OCHs, merklich abweicht. Daß nicht alle Stellungsisomeren gleiche
Verbrennungswärmen haben, macht sich endlich beim Vergleich von
Brenzkatechin mit den anderen Dioxybenzolen geltend.
Die Verbrennungswärmen der den oben angeführten Stoffen homo-
logen Verbindungen lassen sich alle mit genügender Annäherung durch
Hinzufügen von je 655 kj für je CH, berechnen.
Eine Regel von bemerkenswerter Allgemeinheit ist von Stohmann
zwischen der Verbrennungswärme der Säuren und ihrer chemischen
„Stärke“ oder Affinitätskonstante (s. w. u.) gefunden worden: beide
nehmen bei isomeren Säuren gleichzeitig zu und ab. Da für
die letztere Größe allgemeine Beziehungen zur chemischen Zusammen-
setzung, die später besprochen werden sollen, bekannt sind, so lassen
sich auch die Unterschiede der wirklichen Verbrennungswärmen gegen
die aus der additiven Regel berechneten angenäherten Werte ir vor-
aus schätzen.
ELFTES KAPITEL
Chemische Kinetik
llgemeines. Der Inhalt der Thermochemie war wesentlich durch
A den ersten. Hauptsatz der Energetik bestimmt: sie handelte von dem
Gesamtbetrage der Energie, welche die chemischen Vorgänge begleitet,
und lehrte sie im Wärmemaß bestimmen. Dabei war vorausgesetzt,
daß die durch die Formeln angegebenen Vorgänge in dem Sinne und
mit der Vollständigkeit stattfinden, welche durch diese Formeln dar-
gestellt sind. Warum die Vorgänge gerade in solchem Sinne erfolgen,
und nicht im entgegengesetzten, der formell immer ebenso möglich
wäre, wurde noch nicht erörtert, ebensowenig, ob die stillschweigend
vorausgesetzte Vollständigkeit der Reaktionen tatsächlich stattfindet.
Früher hat man geglaubt, diese Fragen auf Grund der thermoche-
mischen Daten selbst beantworten zu können, denn es war der Satz
aufgestellt worden, daß von den beiden möglichen entgegengesetzt ge-
richteten chemischen Vorgängen derjenige ausschließlich stattfindet,
welcher mit Wärmeentwicklung verbunden ist. Denn da beim chemi-
schen Vorgange jedenfalls eine Energieänderung eintritt, So muß jede
chemische Gleichung, in einem Sinne gelesen, einer Wärmeentwick-
lung und im anderen Sinne einem Wärmeverbrauch entsprechen.
Diese Ansicht, welche noch bis in die neueste Zeit Vertreter ge-
funden hat. ist in dieser Form unrichtig1). Sie ist der letzte Rest
1) Richtig würde der Satz beim absoluten Nullpunkt der Temperatur sein,
wo gleichzeitig mit der Wärmeenergie auch die Volumenergie verschwindet,