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Chemische Thermodynamik
wenn man feste Stoffe darin auflöst. In einzelnen Fällen, so in dem von
Raoult (1874) untersuchten, bei welchem Kali- und Natronlösungen
mit Ammoniak gesättigt wurden, ergab sich, daß die Abnahme pro-
portional dem Gehalte am festen Stoffe war. Ähnliche Ergebnisse fand
Setschenow (1875) für das Verhalten verschiedener Salzlösungen
gegen Kohlendioxyd, doch machte sich hier neben der Lösungswirkung
zuweilen noch ein chemischer Vorgang zwischen der Kohlensäure und
dem gelösten Salze geltend, wodurch die Erscheinungen weit ver-
wickelter wurden. In den einfachsten Fällen setzte sich die aufgelöste
Menge aus einem der Salzmenge proportionalen und vom Druck un-
abhängigen (chemisch gebundenen) Anteil und aus einem dem Druck
proportionalen, einfach gelösten Anteil zusammen. In anderen Fällen
aber erwies sich auch der erste Anteil vom Druck abhängig, wenn
auch viel weniger, als der Proportionalität entsprach; alsdann fand auch
ein chemischer Vorgang statt, derselbe war aber unvollständig und mit
dem Drucke veränderlich.
_ Überschreitungen. Bei Lösungen von Gasen in Flüssigkeiten treten
Überschreitungserscheinungen sehr leicht auf, wohl leichter, als in jedem
anderen Falle. Sie zeigen sich darin, daß eine Lösung, die unter einen
geringeren Druck gebracht wird, als den ihrer Sättigung, doch keines-
wegs das Gas entwickelt, sondern homogen bleibt. Die Übersättigung
muß einen recht bedeutenden Betrag annehmen, wenn sie freiwillig
aufhören soll.
Wird eine Gaslösung unter einem bestimmten Drucke gesättigt, und
vermindert man den Druck, so geht keineswegs augenblicklich die ent-
sprechende Gasmenge aus der Lösung heraus. Vielmehr bleiben Gas-
lösungen äußerst leicht „übersättigt“, und erst, wenn man die Flüssig-
keit in möglichst ausgedehnte Berührung mit dem Gase bringt, welches
unter dem geringeren Drucke steht, oder noch besser mit einem frem-
den Gase, in welchem der Teildruck des gelösten Gases gleich Null
ist, entweicht der Überschuß. Daher sind poröse, viel Luft einschließende
Pulver, die man in die Gaslösung einführt, sowie heftiges Schütteln,
welches zahlreiche Gasblasen im Inneren verteilt, endlich Sieden des
Lösungsmittels, wo die Dampfblasen diese Rolle übernehmen, in dieser
Beziehung besonders wirksam. Sehr lange dagegen halten sich über-
sättigte Gaslösungen in sorgfältig (mit Schwefelsäure, Kalilauge usw.)
gereinigten Glasgefäßen.
Dagegen wirkt jedes Bläschen eines Gases, sei es desselben oder
eines fremden, als ein Keim (S. 97), der die Bildung der neuen
Phase auflöst. Diese Keimwirkung ist aber wieder an die örtliche Be-
rührung gebunden; ist das Bläschen aufgestiegen, so bleibt die Flüssig-
keit übersättigt zurück und entwickelt freiwillig keine weiteren Blasen
mehr, außer wenn ein Teil der Gasblase zurückblieb.
In dieser ohne Zutun erfolgenden Austreibung des Keimes liegt
ainer der wesentlichsten Gründe für die Beständigkeit übersättigter Gas-