Full text: Grundriss der allgemeinen Chemie

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Chemische Thermodynamik 
einer kleinen Menge des festen Stoffes in Berührung, so vergrößert 
sich diese so lange, bis die niedrigere Konzentration der Sättigung ein- 
getreten ist. 
Die zur Hervorrufung der Ausscheidung erforderliche Menge des 
festen Stoffes ist sehr klein, aber nicht unbegrenzt. Die Grenze ist 
ungefähr dieselbe, welche für die Aufhebung der Überkaltung gefun- 
den ist, und liegt bei 1078 bis 10—"° g, Da die Löslichkeit zunimmt, 
wenn die Korngröße kleiner wird, so bewirken solche sehr kleine Teil- 
chen Ausscheidung erst in stärker übersättigten Lösungen, und zwar 
muß die Übersättigung um so größer sein, je kleiner die Teilchen sind. 
Übersättigte Lösungen werden auf alle Weise erhalten, durch welche 
sich in der Lösung eine größere Menge des gelösten Stoffes ansammelt, 
als der Sättigung entspricht. Am einfachsten geschieht dies bei Stoffen, 
deren Löslichkeit mit steigender Temperatur zunimmt, indem man eine 
bei höherer Temperatur gesättigte Lösung herstellt und nach sorgfältiger 
Entfernung aller festen Teilchen abkühlt. Doch kann jedes andere 
Verfahren, z. B. die Erzeugung des betreffenden Stoffes auf chemischem 
Wege innerhalb der Lösung, angewendet werden, welches den erforder- 
lichen Überschuß ergibt. 
Am meisten ist in bezug auf Übersättigung das Natriumsulfat stu- 
diert worden. Versetzt man kristallisiertes Glaubersalz, das 10 H,O als 
Kristallwasser enthält, mit etwa der Hälfte seines Gewichtes Wasser, 
erhitzt in einem mit einem Wattepfropf versehenen Kolben bis zum 
Sieden und läßt erkalten, so hat man eine Lösung, die bei gewöhn- 
licher Temperatur in bezug auf Glaubersalz übersättigt ist, und beim 
Hineinbringen eines Stäubchens davon alsbald kristallisiert. Da in der 
Luft beständig Stäubchen dieses Salzes vorhanden sind, so genügt ein 
einfaches Öffnen des Kolbens, um Kristallisation in kurzer Zeit zu 
vewirken. 
Kühlt man den verschlossenen Kolben auf — 10° ab, so scheidet 
sich ein Salz mit 7 H,O ab, nachdem die Lösung zuerst in bezug auf 
dieses Salz übersättigt gewesen war. Die überstehende Lösung ist dann 
in bezug auf das neue Salz gesättigt, denn dieses löst sich bei Erhöhung, 
und scheidet sich reichlicher aus bei Erniedrigung der Temperatur. 
Dabei ist diese Lösung aber dauernd für Glaubersalz übersättigt, und 
bildet dieses Salz, sobald ein „Keim“ davon in die Flüssigkeit kommt. 
Die Fähigkeit, übersättigte Lösungen zu bilden, ist bei verschiedenen 
festen Stoffen sehr verschieden; einige gestatten sehr weitgehende Über- 
schreitungen, andere nur ganz geringfügige. Steigert man den Über- 
sättigungsgrad (z. B. durch Abkühlen der Lösung eines Stoffes, dessen 
Löslichkeit mit der Temperatur zunimmt), so gelangt man an einen 
Punkt, wo die Bildung: des festen Stoffes freiwillig eintritt. Man kann 
also auch hier, auf das stabile Gebiet der Untersättigung folgend, zu- 
nächst ein metastabiles Gebiet unterscheiden, und weiter bei stär- 
kerer Überschreitung ein labiles (S. 79). Die experimentelle Bestimmung
	        
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