Full text: Grundriss der allgemeinen Chemie

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Gasleitung und Radioaktivität 
603 
Die Elektronentheorie, Wiewohl der experimentelle Nachweis für 
die individuelle Existenz der Elektronen ausschließlich auf den eben 
beschriebenen Versuchen über deren kondensierende Wirkung auf über- 
sättigten Wasserdampf beruht, so hat man ihn doch für ausreichend 
zehalten, um den Begriff des Elektrons zur Grundlage sehr ausgedehn- 
ter Theorien zu machen. Wesentlich ins Gewicht gefallen ist hierbei 
allerdings, daß sich die Ladung des Elektrons gleich der des elektro- 
iytischen Ions, nämlich 10-19 Coulomb, ergeben hatte, und Helm- 
holtz schon vor längerer Zeit (1879) letztere als die kleinstmögliche 
Einheit der Elektrizitätsmenge angesehen hatte, indem er der Elektri- 
zität eine atomistische Struktur zuschrieb. 
Die einfachste Anwendung findet diese Theorie auf die elektro- 
iytischen Ionen, die demgemäß als Verbindungen der chemischen 
Atome mit soviel Elektronen, als ihre Valenz beträgt, angesehen werden. 
Bei der Elektrolyse werden diese Verbindungen getrennt, indem die 
chemischen Atome im Elektrolyt oder auf der Elektrode zurückbleiben, 
während die Elektronen im Metall weiter wandern. Die metallische 
Leitung muß demgemäß als eine Wanderung der Elektronen im Metall 
angesehen werden. 
Hierbei ist noch zu beachten, daß das positive Elektron nicht für 
sich bekannt ist, sondern nur positive Atome, bzw. Gasionen und Kat- 
ionen. Man hat die Wahl, auch die Existenz eines positiven Elektrons 
anzunehmen, welches dem negativen ähnlich, nur bisher noch nicht 
isoliert worden ist, oder den positiven Zustand als durch das Feh- 
ien eines (negativen) Elektrons im Gebilde erzeugt anzusehen. 
Bei der nicht vollkommenen Symmetrie, welche die elektrischen Er- 
scheinungen in bezug auf positiv und negativ zeigen, ist die zweite 
Annahme (welche der alten Franklinschen Elektrizitätstheorie, nur 
unter Umkehrung des Zeichens, entspricht) vorzuziehen. Negative und 
positive Elektrizität würden dann etwa vergleichbar sein mit Gebieten 
in der Atmosphäre, wo der Druck höher oder niedriger ist, als der 
mittlere. Beide können Arbeit leisten nach analogen Gesetzen, heben 
sich aber zu Null auf, wenn sie zusammengebracht werden, und können 
entsprechend dem Gesetz von der Erhaltung der Elektrizität an jedem 
beliebigen Orte neu erzeugt werden, aber nur beide gleichzeitig und 
in äquivalenten Mengen. 
Größere Schwierigkeiten macht schon die Anwendung der Elektro- 
nenlehre auf chemische Verbindungen. Man kann nicht die Va- 
lenz einfach gleich einem Elektron setzen, weil Stoffe mit freien Va- 
lenzen, mit Stickoxyd und Kohlenoxyd, keineswegs freie elektrische 
Ladung zeigen; auch lassen sie keinerlei besondere elektrische Be- 
schaffenheit in anderer Beziehung erkennen. 
Sehr bemerkenswert ist der Nachweis, daß die Masse des Elektrons 
von seiner Geschwindigkeit abhängt und sich anscheinend dem Wert 
Unendlich nähert. wenn sich seine Geschwindigkeit der Lichtgeschwin-
	        
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