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Vorbericht
Jahrtausenden vergeblich gesucht hatte. Die Isolierung und
Zählung der Gasionen einerseits, welche die langen und ausgezeichneten
Arbeiten von J. J. Thomson mit vollem Erfolge gekrönt haben, und
die Übereinstimmung der Brownschen Bewegungen mit den Forderungen
der kinetischen Hypothese anderseits, welche durch eine Reihe von
Forschern, zuletzt am vollständigsten durch J. Perrin erwiesen worden
ist, berechtigen jetzt auch den vorsichtigen Wissenschaftler, von einem
experimentellen Beweise der atomistischen Beschaffenheit der raum-
erfüllenden Stoffe zu sprechen. Damit ist die bisherige atomistische
Hypothese zum Range einer wissenschaftlich wohlbegründeten Theorie
aufgestiegen und darf ihre Stelle auch in einem zur Einführung in
das Wissensgebiet der Allgemeinen Chemie bestimmten Lehrbuche be-
anspruchen.
Daß ich ihr diese Stelle zunächst dort bereiten zu müssen geglaubt
habe, wo dieser Nachweis gefunden worden ist, nämlich in den eben
erwähnten neuen Kapiteln, darf wohl als wissenschaftlich berechtigt
anerkannt werden. Für die Stöchiometrie hat die Atomtheorie wesent-
lich die Bedeutung eines bequemen Veranschaulichungsmittels, da be-
kanntlich die hierher gehörigen Tatsachen ohne ihre Hilfe ausreichend
und vielleicht sogar tiefer greifend dargestellt werden können, als bei
der üblichen Voranstellung der atomistischen Auffassung. Hier habe
ich somit von der Atomtheorie nur einen subsidiären Gebrauch gemacht.
Daß aber ihre Entwicklung und Vertiefung gerade auf dem Gebiete
am ehesten erwartet werden kann, wo ihr experimenteller Nachweis
zuerst geglückt ist, läßt sich schon aus allgemeinen Gründen vermuten,
ıch hoffe, daß die Fachgenossen an den angegebenen Stellen auch
einiges Neue in solcher Richtung finden werden.
Schließlich muß ich betonen, daß ich mich nicht imstande gefühlt
hätte, die sehr erhebliche Arbeit der vorliegenden Ausgabe zu leisten,
wenn ich nicht eine ebenso verständnisvolle wie unermüdliche Hilfe
durch Herrn Dr. Karl Drucker gefunden hätte. Diesem Mitarbeiter
verdanke ich nicht nur eine Neuberechnung der Atomgewichte, sondern
auch unzählige Einzelbemerkungen und Erinnerungen, die mich oft zu
erheblichen Umgestaltungen des Textes veranlaßt haben. Insbesondere
hat er auch dauernd aufgepaßt, daß das Ziel, ein lesbares Buch aus
dem alten „Grundriß“ zu gestalten, nicht aus dem Auge verloren
wurde.
Großbothen, November 109008.
Wilhelm Ostwald.