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STÖCHIOMETRIE
infolge von Überkaltung unter den Gefrierpunkt, um alsdann plötzlich,
indem sich feste Substanz ausscheidet, auf denselben sich zu erheben. Hat
man auf diese Weise zuerst den Erstarrungspunkt des Lösungsmittels be-
stimmt, so bringt man (aus einem gewogenen Glase) eine bekannte Menge
des zu untersuchenden Stoffes in A durch den Stutzen hinein, vermischt,
und ‚wiederholt den Versuch. Die Erstarrung tritt jetzt bei niedrigerer
Temperatur ein, und der Unterschied beider Temperaturen ist der in den
xleichungen auftretende Wert A.
Bei vielen Lösungen erfolgt leicht eine sehr starke Überkaltung, so daß
beim Erstarren sich eine große Menge von Eis ausscheidet. Dadurch wird
die nachbleibende Lösung aber konzentriert, und die beobachtete Tempe-
ratur ist zu niedrig. Dann läßt man das meiste Eis durch Erwärmen wieder
zergehen, und bringt, wenn nur noch eine sehr kleine Menge vorhanden
ist, den Apparat in das Kühlgefäß. Oder man „impft‘ die schwach über-
kaltete Lösung mit einer Spux des erstarrten Lösungsmittels.
Theorie. Es liegt nahe, zwischen der oben besprochenen Erscheinung
der Dampfdrucksverminderung und der Gefrierpunktserniedrigung einen
ähnlichen theoretischen Zusammenhang zu vermuten, wie er zwischen jener
und dem osmotischen Druck besteht. Ein solcher ist in der Tat vorhanden
und zuerst von C, M. Guldberg (1870) nachgewiesen worden. Später
(1886) hat van ’t Hoff die Theorie dieses Zusammenhanges in wesent-
lichen Stücken vervollständigt und die Konstante r aus anderen Größen
abzuleiten gelehrt.
Zunächst ist die Frage zu beantworten, ob sich aus Lösungen reines Eis!)
ausscheidet, oder ob die Lösung als Ganzes gefriert. Aus den hierüber an-
gestellten Untersuchungen und gepflogenen Diskussionen hat sich ergeben,
daß in den meisten Fällen das erstere stattfindet. Es scheidet sich (abgesehen
von bestimmten Ausnähmen), so lange die Lösung nicht so konzentriert
ist, daß der gelöste Stoff schon durch die Temperaturerniedrigung auskristalli-
siert, nur reines Eis aus.
Nun läßt sich durch eine Schlußweise, die der auf S. 112 angewendeten
ganz ähnlich ist, beweisen, daß die Temperatur, bei welcher sich Eis aus
einer Lösung ausscheiden kann, diejenige ist, bei welcher Eis und Lösung
gleichen Dampfdruck haben. Da mit anderen Worten Eis und Lösung
unmittelbar im Gleichgewicht sind, so müssen sie es auch unter Vermittlung
des Dampfes sein, und dieser muß daher beiderseits gleichen Druck haben.
Auch könnte man sich, wenn die Drucke verschieden wären, eine Maschine
konstruieren, durch welche Wärme bei konstanter Temperatur dauernd in Arbeit
übergeführt werden könnte, im Widerspruch mit dem zweiten Hauptsatz,
Daraus folgt also, daß die Gesetze, welche wir oben für die Dampfdrucke
äquimolarer Lösungen gefunden haben, auch für ihre Gefrierpunktsernie-
drigungen gelten müssen.
*) Es soll hier mit „Eis‘ ganz allgemein das erstarrte Lösungsmittel, sei es Wasser, Benzol
öder etwas anderes, bezeichnet werden.