Full text: Grundriss der allgemeinen Chemie

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DIE VERDÜNNTEN LÖSUNGEN - 209 
Salzlösungen. Wie schon erwähnt wurde, weicht eine große Gruppe 
von Stoffen, nämlich Säuren, Basen und Salze, in wässerigen Lösungen von 
den einfachen Gesetzen ab. Es ist dies keine Eigenschaft, die diesen Stoffen 
als solchen immer anhaftet, denn in vielen anderen Lösungsmitteln ver- 
halten sie sich ganz normal und lassen genau die aus den Molargewichten 
berechneten Einflüsse erkennen. Ebenso zeigt das Wasser anderen Lösungs- 
mitteln gegenüber keinerlei Ausnahmestellung, wenn man indifferente 
Stoffe darin löst. Die Ausnahme tritt nur ein, wenn die erwähnten Stoffe 
in Wasser gelöst werden, und ist ein Ergebnis der Wechselwirkung beider 
Faktoren‘)). 
Das Molargewicht der genannten Stoffe ergibt sich, wenn man es nach 
einer der vorerwähnten Methoden an ihren wässerigen Lösungen bestimmt, 
stets kleiner, als es nach der chemischen Formel sein sollte. Ist M das der 
Formel entsprechende Molargewicht und M„„ das in wässeriger Lösung 
gefundene, so kann man M = iM setzen, wo i eine Zahl darstellt, die stets 
größer als Eins ist und bis 4 oder 5 wachsen kann. Dabei ist zu beachten, 
daß die verschiedenen Methoden an ein und derselben Lösung den gleichen 
Wert für i geben; eine sehr verdünnte Lösumg von Chlorkalium, für welche i 
nahezu gleich 2 ist, zeigt nur eine doppelt so große Erniedrigung des Ge- 
frierpunktes, als der Formel entspricht, sondern auch die Verminderung 
des Dampfdruckes sowie der osmotische Druck sind in ganz demselben 
Verhältnis 2:1 zu groß. Die Zahl i ist daher nicht von der benutzten 
Methode abhängig, sondern nur von der Natur des gelösten Stoffes, und 
einigermaßen von der Konzentration sowie von der Temperatur. 
Es ist schon oben auf die Erklärung dieser Erscheinung hingewiesen 
worden. Man kann annehmen, daß die fraglichen Stoffe in ihren Lösungen 
dissoziiert, d. h. in Verbindungen von einfacherer Zusammensetzung 
gespalten sind, ähnlich wie Chlorammonium in Dampfgestalt dissoziiert ist. 
Freilich handelt es sich hier um eine Dissoziation besonderer Art, die im 
engsten Verhältnis zu den elektrischen Eigenschaften dieser Lösungen steht, 
und die weiter unten in dem Buch für Elektrochemie eingehender erklärt 
werden wird. Hier soll nur betont werden, daß unter Rücksichtnahme 
auf den Faktor i auch die Lösungen der Salze, Säuren und Basen sich den 
allgemeinen Gesetzen der Lösungen unterordnen, 
Additive Eigenschaften. Mit dieser Tatsache stimmt auf das beste 
das gesamte Verhalten der Salzlösungen überein. Während es ein charak- 
teristisches Kennzeichen der chemischen Verbindungen ist, daß die Eigen- 
schaften der Bestandteile, aus denen sie sich bilden, in der Verbindung 
verschwunden, oder doch mehr oder weniger verändert sind, zeigen die 
1) Es soll schon hier erwähnt werden, was später sich für die Theorie dieser Erscheinung 
als von entscheidender Wichtigkeit erweisen wird: daß nämlich die Lösungen, welche 
diese Ausnahmestellung einnehmen, und nur diese, Elektrolyte sind. Beide 
Eigenschaften sind regelmäßig miteinander verbunden. Außer Wasser haben einige andere 
Lösungsmittel, wie Aceton, flüssiges Ammoniak, reine Salpetersäure u, a. die gleiche Eigen- 
schaft, doch meist in geringerem Grade. 
Wi. Ostwald, Grundriß. ss. Aufl,
	        
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