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STÖCHIOMETRIE
findet man bei dem Versuche, die Molarrefraktion insbesondere der ein-
fachsten Verbindungen additiv zu berechnen, mannigfaltige Widersprüche. Es
sind hier die gleichen Erwägungen anzustellen, die bezüglich der Molarvolume
{S. 249) angestellt worden sind. Gerade bei den ersten Gliedern der ver-
schiedenen Reihen vergleichbarer Stoffe machen sich die besonderen kon-
stitutiven Eigentümlichkeiten am meisten geltend, und man ist daher nicht
berechtigt, aus Verhältnissen, die sich an zusammengesetzteren Stoffen
ergeben haben, Schlüsse auf Konstitutionseigenschaften solcher einfacher
Verbindungen zu ziehen. Vielmehr sind diese durchaus individuell zu be-
handeln.
Dies gilt insbesondere auch für die Refraktionskonstanten gasförmiger
Stoffe. Wiewohl sich diese in den vergleichbarsten Zuständen befinden,
die wir überhaupt kennen, stehen doch ihre Brechungsverhältnisse in großem
Widerspruch mit dem additiven Schema. Dies rührt daher, daß es sich
hier meist um ganz einfach zusammengesetzte Stoffe handelt, deren in-
dividuelle Beschaffenheit entscheidend in den Vordergrund tritt. Die Re-
fraktionsverhältnisse der Dämpfe zusammengesetzterer Stoffe zeigen da-
gegen wieder dieselben Regelmäßigkeiten, die an den Stoffen im flüssigen
Zustande zu beobachten sind.
Viel weniger eingehend untersucht ‘als die organischen Verbindungen,
sind die der anorganischen Chemie. Hier verdanken wir fast alles, was wir
wissen, den Arbeiten Gladstones. Auch hier hat sich im allgemeinen ein
additives Gesetz gültig gezeigt, jedoch mit deutlicher Mitwirkung konstitutiver
Umstände. So ist z. B. die Molarrefraktion freier Säuren von denen ihrer
Kalisalze um einen Wert verschieden, der für alle starken Säuren nahezu
gleich ist, und ebenso für alle schwachen Säuren; für beide Gruppen ist
der Unterschied aber nicht gleich. Ebenso stellte sich heraus, daß, wenn
ein Metall mehrere Salzreihen zu bilden vermag, es in jeder dieser Reihen
eine besondere Atomrefraktion besitzt.
Die Bestimmungen der Molarrefraktionen der hierhergehörigen Stoffe ist
meist an ihren wäßrigen Lösungen ausgeführt worden. Besteht dieselbe
aus vd Molen Wasser auf ein Mol des Stoffes, so gilt die Beziehung (vgl. S. 254)
(18°01p + m)r = 18:°01pro + mR,
wo 18:01 das Molargewicht des Wassers, m das des gelösten Stoffes be-
deutet, und r, rg und R die Brechungskonstanten (m — I) /d oder TC 5)
der Lösung, des Wassers und des Stoffes sind. Daraus folgt die Molar-
cefraktion des letzteren
mR = (18°01p + m)r — 18:01 pro.
Durch besondere Versuche glaubte Gladstone sich überzeugt zu haben,
daß man übereinstimmende Werte für die Molarrefraktion erhält, ob man
sie an dem festen Stoff (er benutzte Prismen von Steinsalz) oder an der
Lösung bestimmt, doch haben neuere Untersuchungen erwiesen, daß auch
diese Beziehung nicht genau ist.