328
KOLLOIDCHEMIE
oder als Lösung enthält, so sind diese im allgemeinen nicht im Gleichgewicht.
Denn da die Eigenschaften dieser Teilchen von der Größe ihrer spezifischen
Oberfläche abhängen, so werden jene verschieden sein und das kleinere
Teilchen ist unbeständig gegenüber dem größeren. Dies macht sich
zunächst darin geltend, daß es einen höheren Dampfdruck und eine größere
Löslichkeit hat, als das größere Teilchen unter den gleichen Verhältnissen.
Es wird also Substanz von dem kleineren Teilchen zum größeren durch
Destillation oder Lösung und Ausscheidung übergehen. Hierdurch wird die
bereits vorhandene Verschiedenheit noch vergrößert und die Unbeständig-
keit des kleinen Teilchens vermehrt; das setzt sich fort, bis daß es aufgezehrt
und verschwunden ist.
Derartige gegenseitige Beeinflussungen müssen immer eintreten, wenn die
betrachteten Stoffe flüchtig oder löslich sind. Da nun wiederholt aus-
gesprochen worden ist, daß wir keinen Grund haben, einen, wenn auch Sehr
kleinen, Betrag dieser Eigenschaft irgendeinem Stoffe abzusprechen, so folgt,
daß zufolge den bisher angenommenen Gesetzen ein jedes dis-
perse Gebilde seiner Natur nach unbeständig ist und es sich nur
darum handeln kann, wie lange Zeit die Umwandlung braucht. Die Zeit
wird um so größer sein, je geringer die Lö.lichkeit, bzw. der Dampfdruck
ist und je geringer außerdem die Reaktionsgeschwindigkeit ist, die von der
spezifischen Natur der beteiligten Stoffe abhängt. .
Allerdings kann man sich einen Sonderfall. denken, in welchem ein dis-
perses Gebilde beständig ist: nämlich wenn alle Teilchen völlig gleiche
Größe haben. Dann ist keines dem anderen gegenüber bevo zugt, und es
liegt kein Grund für irgendwelche Änderungen vor. Indessen bedingt irgend-
ein Unterschied der Temperatur oder des Drucke-, den eines oder das andere
Teilchen erfährt, alsbald auch eine entsprechende Aufhebung des Gleich-
gewichts, so daß ein derartiges Gebilde sich nur im labilen Gleichgewichte
befindet, das durch die geringste Beein!lussung zerstört wird.
Eine andere Möglichkeit, unter der ein disperses Gebilde beständig werden
kann, liegt vor, wenn die Oberflächenspannung nicht mehr unab-
hängig von der Teilchengröße ist, sondern mit abnehmender Größe
schnell abnimmt. Dann würde es eine bestimmte Teilchengröße geben, weiche
gegen Veränderung nach beiden Seiten beständig wäre und sich aus
einem Gemenge verschieden großer Teilchen (falls diese nur unterhalb eines
bestimmten endlichen Wertes liegen) selbsttätig herstellen würde. Es
ist bereits bemerkt worden (S. 522), daß eine solche Annahme nicht unwahr-
scheinlich ist.1)
= *) Man könnte auf solchem Wege auch die Lösung eines Problems suchen, welches die
Denker seit langer Zeit beschäftigt hat. Damit die Atomtheorie sich den Tatsachen an-
paßt, muß man annehmen, daß die gleichnamigen Atome alle untereinander genau über-
einstimmen müssen, was Größe anlangt. Nun hat bereits Herschel darauf hin-
gewiesen, daß hierdurch die Atome den Charakter einer Fabrikware erhalten, da uns sonst
die Natur niemals völlig gleich große Gebilde bestimmter Art liefert. Durch den oben be-
schriebenen Einfluß der Oberflächenspannung könnte man die Bildung solcher überein-