616 _——_____ DIE CHEMISCHE VERWANDTSCHAFT
ın Ionenform, und einige sehr wichtige stöchiometrische Eigenschaften der
{onen sind an organischem Material entdeckt und entwickelt worden.
Geschichte, Die Geschichte dieser Probleme. beginnt mit der Aufstellung
von Verwandtschaftsreihen, d. h. mit der Bestimmung der Reihenfolge,
in der sich die Stoffe .gegenseitig aus analogen Verbindungen verdrängen.
Nachdem schon Stahl der Aufgabe diese Form gegeben hatte, wurde sie
von Geoffroy aufgenommen und von T. Bergmann im letzten Viertel des
vorigen Jahrhunderts zum Abschluß gebracht. Diese Verwandtschaftstafeln
sollten die Größe der Verwandtschaften der enthaltenen Stoffe zuerst nur
der Reihe nach, später sogar quantitativ ausdrücken. Daß sie dann so schnell
wieder aufgegeben wurden, als sie aufgenommen worden waren, war eine
Jolge ihrer ungenügenden Voraussetzungen.
Sie beruhten auf der Ansicht, daß die Verwandtschaft nach Art einer
mechanischen Kraft anzusehen sei. Wie eine größere Kraft die kleinere
„überwindet‘‘, so daß sich der angegriffene Körper im Sinne der größeren be-
wegt, so sollten auch die chemischen Reaktionen ausschließlich im Sinne
der größeren Verwandtschaft stattiinden. Gerade diese Grundlage wurde
zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch Berthollet angegriffen, und wenn
es ihm auch nicht gelang, die neu von ihm gegebenen Ansichten von dem
Eintreten chemischer Gleichgewichtszustände alsbald in eine entwicklungs-
fähige Gestalt zu bringen, so waren doch nach seinem Auftreten auch die
Verwandtschaftstafeln verschwunden.
Durch die Entdeckung der stöchiometrischen Gesetze zu Beginn des 19. Jahr-
hunderts und die bald darauf eintretende Entwicklung der organischen
Chemie geriet die Frage nach den Gesetzen der chemischen Verwandtschaft
ganz in den Hintergrund. Die Reaktionen der Kohlenstoffverbindungen er-
schienen so wenig als das Ergebnis größerer oder geringerer Verwandtschafts-
kräfte und so sehr abhängig von der ‚Anordnung der Atome‘, daß Dumas
bei seinen ersten Versuchen zur Entwicklung der Typentheorie nur der letz-
teren einen Einfluß auf die Vorgänge einräumen wollte. Trat der Irrtum einer
solchen radikalen Ansicht auch bald zutage, so blieb doch der Umstand be-
stehen, daß Affinitätsprobleme im engeren Sinne in der organischen Chemie
kaum auftauchten. Selbst als durch Berthelot und Pean de St. Gilles
in der Bildung der Ester aus Säuren und Alkoholen (1862) ein der organischen
Chemie angehöriger Fall gefunden und studiert worden war, in welchen der
teilweise und bedingte Verlauf der Reaktionen in der Zeit ungemein anschau-
lich experimentell verfolgt werden konnte, dauerte es noch mehrere Jahre,
bevor die Wiederbelebung der Entwicklung der Bertholletschen Theorie
durch Guldberg und Waage (1867) die Grundlegung einer systematischen
Affinitätslehre ermöglichte.
Der erste, welcher dann in dieser Richtung vorging, war J. Thomsen
(x868), dessen thermochemische Messungen die Verwandtschaftsverhältnisse
zwischen Säuren und Basen zum Gegenstande hatten. Der wesentlichste
Punkt dieser Arbeiten war außer dem Nachweis der Gültigkeit des Massen-
wirkungsgesetzes die Entdeckung, daß die aus den Gleichgewichten sich er-