Full text: Grundriss der allgemeinen Chemie

DIE FLÜSSIGKEITEN UND DER ZWEITE HAUPTSATZ DER ENERGETIK 55 
VIERTES KAPITEL 
Die Flüssigkeiten und der zweite Hauptsatz der Energetik 
A gemelnes. Zwischen den Gasen einerseits und den Flüssigkeiten und 
festen Stoffen andererseits besteht ein ganz wesentlicher Unterschied 
insofern, als es bei beiden letzteren keine spezifischen Eigenschaften gibt, 
die allen Stoffen der gleichen Formart quantitativ ir gleicher 
Weise zukommen, wie dies mit dem Einflusse von Druck und Temperatur 
auf das Volum der Gase der Fall ist. Vielmehr sind diese Einflüsse hier von 
Stoff zu Stoff verschieden, wie etwa bei Gasen die Dichte und die Farbe, 
und selbst diejenigen Eigenschaften, welche die flüssige oder feste Formart 
kennzeichnen, wie die Verschiebbarkeit der Teile bei der ersten und ihr Zu- 
sammenhalt bei der zweiten, sind durch besondere Koeffizienten gekenn- 
zeichnet, welche von Fall zu Fall wechseln und den verschiedenen Stoffen 
sigentümlich sind. 
Die Ursache dieses besonderen Verhaltens liegt darin, daß die Dichte 
der Stoffe in den beiden letzteren Formarten sehr erheblich größer ist, als 
bei den Gasen. Gelegentlich der Erörterung der Abweichungen, welche die 
reellen Gase von dem idealen Gasgesetz aufweisen, hat sich bereits heraus- 
gestellt, daß diese nicht von allgemeiner Beschaffenheit, sondern stofflich 
individuell gekennzeichnet sind, derart, daß sie je nach der Natur des Stoffes 
nicht nur größer oder kleiner sind, sondern auch in ihren einzelnen Größen- 
verhältnissen mit der Natur des Stoffes variieren. Hier beginnen also die 
Stoffkonstanten als maßgebend aufzutreten, die sich bei Flüssigkeiten und 
festen Stoffen allgemein als bestimmend erweisen. 
Von den Gasen unterscheiden ‚sich die Flüssigkeiten durch den Besitz 
eines eigenen oder spezifischen Volums. Da das Volum proportional 
der Menge - ist, diese aber für die Kennzeichnung der Stoffe nicht in Be- 
tracht kommt, so kann natürlich das absolute Volum auch nicht als Stoff- 
konstante dienen. Der Menge proportional ist aber auch die Masse und das 
ihr numerisch gleiche relative Gewicht; und das Verhältnis zwischen 
Raum und Gewicht, bzw. Masse ist allerdings von der Menge des Stoffes 
unabhängig, abhängig dagegen von seiner Natur und bedeutet daher eine 
spezifische Eigenschaft. Man kann hier zwei reziproke Begriffe bilden, je 
nachdem man den Raum durch das Gewicht dividiert oder umgekehrt. 
Ersteres ergibt den Raum der Gewichtseinheit, den man das spezifische 
Volum oder die Räumigkeit nennt; letzteres ergibt das Gewicht der 
Raumeinheit, das spezifische Gewicht oder die Dichte. Während der 
letzte Begriff im täglichen Leben und in der Wissenschaft dort vorwiegend 
Anwendung findet, wo das Verhältnis zwischen Raum und Gewicht weit- 
gehend willkürlich veränderlich ist (bei Gasen und Lösungen), hat sich für 
andere wissenschaftliche Zwecke vielfach die Räumigkeit als der an- 
gemessenere Begriff erwiesen. Sehr häufig wird in der Chemie der Raum 
chemisch vergleichbarer Gewichtsmengen der verschiedenen Stoffe in Be-
	        
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