Full text: Grundriss der allgemeinen Chemie

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DIE FLÜSSIGKEITEN UND DER ZWEITE HAUPTSATZ DER ENERGETIK 61 
flächenenergie. Sie läßt sich als eine für den Flüssigkeitszustand charakte- 
ristische Energieart ansehen, wie die Volumenergie für die Gase sich als 
die wichtigste Form herausgestellt hat. Auch ‚bestehen hier, wie später 
gezeigt werden wird, bezüglich allgemeiner Gesetze ganz bestimmte Ana- 
logien. 
Verdampfung und Verflüssigung. Der Bestand einer Flüssigkeit ist 
im allgemeinen an bestimmte Werte von Druck und Temperatur gebunden. 
Wird der Druck vermindert oder die Temperatur erhöht, indem man den 
Raum vergrößert oder Wärme zuführt, so tritt ein Punkt ein, in welchem 
neben der Flüssigkeit ein Gas erscheint, und bei weiter fortgesetzter Volum- 
vergrößerung oder Wärmezufuhr verwandelt sich schließlich die gesamte 
Flüssigkeit in Gas. Man pflegt ein Gas, welches in solcher Weise aus einer 
Flüssigkeit entstanden ist, oder sich in eine umwandeln läßt, einen Dampf 
zu nennen. 
Diese Vorgänge sind umkehrbar. Vermindert man den Raum, welchen 
ein Gas einnimmt, und erniedrigt man seine Temperatur, so findet man 
gleichfalls Werte dieser Größen, bei denen das Gas eine Flüssigkeit aus- 
scheidet und schließlich ganz in eine solche übergeht. 
Es handelt sich, gemäß der Definition chemischer Vorgänge, daß sie 
durch das Verschwinden gewisser Stoffe und das Auftreten neuer ge- 
kennzeichnet sind, hierbei um wirkliche chemische Vorgänge, allerdings 
solche einfachster Art. Man findet gelegentlich die Ansicht ausgesprochen, 
daß man Verdampfung und Verflüssigung besser als physikalische Vorgänge 
bezeichnen soll. Da eine derartige Namengebung stets willkürlich ist und von 
praktischen Erwägungen abhängt, so ist zu betonen, daß die allgemein als 
chemisch anerkannten Vorgänge in vielen Beziehungen den eben beschriebenen 
ganz ähnlich sind, derart, daß sich allgemeine Gesetze aussprechen lassen, 
welche beide Gruppen umfassen. Dies ist eine genügende praktische Ur- 
sache für die Einreihung der Änderungen der Formart unter die chemischen 
Vorgänge, zumal ihre Kenntnis für alle chemischen Arbeiten von grund- 
legender Bedeutung ist. 
Jede Flüssigkeit läßt sich durch Verminderung des Druckes bei jeder 
Temperatur in ihren Dampf verwandeln, wenn auch bei niedriger Temperatur 
oft ein so kleiner Druck dazu erforderlich ist, daß dieser an oder gar außer- 
halb der Grenze des Nachweisbaren liegt. Andererseits darf man aber nicht 
behaupten, daß man ein jedes Gas durch Druckvermehrung allein zur Aus- 
scheidung einer Flüssigkeit bringen kann. Vielmehr gibt es hier eine Tempe- 
raturgrenze, oberhalb deren auch der stärkste Druck einen solchen Vorgang 
nicht bewirkt. Diese Temperatur heißt die kritische und die hierbei maß- 
gebenden besonderen Verhältnisse werden später eingehend behandelt 
werden. 
Reine Stoffe und Lösungen. Alle bisher erörterten Gesetze sind für 
alle Körper gültig, welche gleichteilig oder homogen sind, d.h. in 
welchen nicht nebeneinanderliegende Anteile unterschieden werden können, 
denen verschiedene spezifische Eigenschaften zukommen. Letztere Körper
	        
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