Full text: Grundriss der allgemeinen Chemie

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DIE STOFFE 
punkten abliegen. So siedet Wasser bei 100°, Äther bei 35°, d. h. sie haben 
bei diesen Temperaturen beide einen Dampfdruck von 76 cm. Bei 80°, 
also 20° unter dem Siedepunkt, hat Wasser den Druck von 35:5 cm; Äther hat 
bei der entsprechenden Temperatur von 15° den Druck 35:4 cm. Die Zahlen 
stimmen vortrefflich, und Dalton hatte sein ‚Gesetz‘ in der Tat auch 
aus dem Vergleich von Äther und Wasser abgeleitet. Alkohol dagegen, 
der bei 78° siedet, hat bei 58° einen Druck von 33 cm, also einen erheb- 
lich zu kleinen, und das gleiche trifft für die meisten anderen Stoffe zu. 
Viel besser stimmt mit der Erfahrung eine dem Daltonschen ‚Gesetz‘ 
nachgebildete Regel von Dühring. Sie kommt darauf hinaus, daß in die 
Daltonsche Formel noch ein von der Natur der Flüssigkeit abhängiger 
Faktor gesetzt wird. Wenn man von Temperaturen gleichen Druckes zu 
anderen Temperaturen gleichen Druckes übergeht, sind nicht (nach Dalton) 
die Temperaturunterschiede gleich, wohl aber untereinander proportional. 
Das Daltonsche ‚Gesetz‘ würde, mit anderen Worten, gültig sein, wenn 
man für jede Flüssigkeit eine besondere Temperaturskala benutzte, die der 
Zentesimalskala proportional wäre. Die Formel von Dühring lautet, wenn 
man als Vergleichsflüssigkeit Wasser einführt: 
t’ = 4 + q(t — 100). 
Hier ist 100 die Siedetemperatur des Wassers und 4 die des Stoffes bei 
Normaldruck (76 cm), t und t’ sind die Siedepunkte beider bei irgendeinem 
anderen Drucke; q endlich ist ein Faktor, welcher je nach der Natur der 
Flüssigkeit zwischen 0:5 bis 2°3 schwankt. Um q zu berechnen, hat man 
sinfach q= EA d. h. man dividiert die Unterschiede der zu zwei 
verschiedenen Drucken gehörigen beiderseitigen Siedetemperaturen. 
Eine andere Formel, die gleichfalls eine gute Annäherung gewährt, die 
um so größer ist, je näher die verglichenen Stoffe miteinander verwandt 
sind, besteht in der Annahme, daß die in absoluter Zählung ge- 
crechneten Siedetemperaturen für gleichen Druck einander 
proportional sind. Es ist also T,/T, = const., wenn man mit T, und 
T, die Siedepunkte zweier Stoffe bei gleichem Druck bezeichnet. Ramsay 
und Young (1886) haben u. a. gezeigt, daß sich diese Beziehung an den 
Halogenabkömmlingen des Benzols sowie an einer größeren Anzahl ver- 
schiedener Fettsäureester bewährt. In solchen Fällen, wo sie nicht gilt, 
kann man sie durch die etwas verwickeltere Formel: 
T,//T2 = T,/Tz + C(T,/ — T‚) 
ersetzen, welche in die erstgenannte einfache übergeht, wenn c= 0 wird. 
Hier bezeichnen die gestrichelten Temperaturen die Siedepunkte bei einem 
anderen Druck, der wieder für beide Stoffe gleich ist. 
Die kritischen Erscheinungen. Der mit einer Flüssigkeit im Gleich- 
gewicht stehende Dampf erfährt einen doppelten Einfluß, wenn man die 
Temperatur erhöht. Einmal würde er, wenn sein Druck unverändert bliebe, 
durch die höhere Temperatur ausgedehnt werden. Andererseits nimmt
	        
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