Full text: Formen des Steinbaues (1. Teil)

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Die Kunst der Architektur hat sich nicht wie die übrigen bildenden 
Künste, Malerei und Bildhauerei, durch direkte Anlehnung an die Natur 
entwickelt, sondern die ihr durch die Natur gegebenen Andeutungen, 
die Grundprinzipien und Elemente der Formengestaltung können aus 
ihren Gebilden nur abgeleitet, in wenigen Fällen direkt entnommen 
werden. Die Architektur ist also mehr im menschlichen Geist und 
Gefühl entstanden. Sie darf aber nie nur eine Wissenschaft der Regeln 
und eine Kunst des Zirkels sein, da Bauwerke, die nur hieraus ent- 
standen sind, wohl in den Verhältnissen und der Konstruktion richtig sein 
zönnen, doch stets des frischen Lebenshauches, der Ursprünglichkeit 
und des charakteristischen Gepräges entbehren werden und deshalb 
keinen besonderen, fesselnden Eindruck auf den Beschauer ausüben und 
auch nicht die Gefühlsäufserung, welche durch das Bauwerk beabsichtigt 
ist, im Beschauer wachrufen. Wird hingegen durch ein Bauwerk die 
Empfindung im Beschauer erzeugt, welche im Einklange mit der 
Bestimmung des Bauwerkes und seiner Umgebung steht, d. h. dafs 
man seine Bestimmung sofort richtig erkennt und nachfühlt, was der 
Architekt bei seinem Entwurfe gefühlt, gedacht und beabsichtigt hat, 
so sagt man, das Bauwerk habe „Charakter“. Die Art und Weise 
nun, wie der Architekt im Bauwerk seine Gedanken ausdrückt, die 
Darstellungsweise, die Formengebung, bezeichnet man mit dem Namen 
„Stil“, der um so gelungener und reiner ist, je bestimmter dadurch seine 
Ideen ausgedrückt werden. Wir haben es hier nur mit der Renaissance 
(Wiedergeburt) zu tun, einer Wiederaufnahme und Erweiterung der 
alten römischen und griechischen Bauweise. 
Hartmann, Formenlehre der Renaissance,
	        
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