Vorwort.
Der ausführende Baumeister unserer Tage bedarf einer ernsten
theoretischen Schulung, um den ästhetischen Bedenken gegenüber, die
ihn oft in seinem Schaffen beirren, standhaft zu bleiben. Die Bau-
meister vergangener Epochen waren allem Anscheine nach in weit
geringerem Mafse durch solche Bedenklichkeiten. in ihrer geistigen
Arbeit gestört.‘ Über den Stil, in dem sie ihre Bauwerke ausführen
sollten, konnte meist kein Zweifel bestehen; es mufste der Stil sein,
der von allen verstanden wurde und allen zum Herzen drang. — Dem
modernen Baumeister hingegen drängt sich durch den aufserordentlich
raschen Geschmackswandel in den letzten 30 Jahren und die Reihe
von Stilen, die gleichzeitig nebeneinander auftreten, vor: allem die
Frage auf, welcher für das betreffende Bauwerk der‘ zweckmäisigste
sei und welche von den zahlreich sich darbietenden Vorbildern zu be-
rücksichtigen sein möchten. '
Welche Mittel stehen nun zur Verfügung, den angehenden. Bau-
meister zur richtigen Wahl des Weges zu befähigen? — Die ‘Be-
herrschung der Architektur erfordert vor allem ein eifriges und
ernstes Studium, ein Vertrautsein mit der geschichtlichen Entwickelung
und eine gewisse Reife ihre Werke kritisch betrachten zu können, sowie
eine Kenntnis der Bauwerke, die uns die Vergangenheit überliefert
hat. Letztere ist auch eine Hauptquelle der ‘architektonischen Er-
findung; sie befruchtet die Phantasie und gibt ihr die Richtung an,
ohne die sie sich ins Unendliche verliert. Das Urteil des Baumeisters
mufs über seinem Werke stehen, es mufs ihm die Mängel desselben
aufdecken und ihn anleiten, sie zu verbessern; denn erst durch diese
stete Selbstkritik, durch stetes Selbstverbessern. kann wahre Meister-
schaft erlangt werden.