seiner Studentenjahre verübt hat und was ihm bezeichnender Weise Spiegel-
berg in Erinnerung bringt, ist wohl mehr auf Rechnung seiner feudalbürtigen
Eigenschaften als auf Rechnung von Sitten oder vielmehr Unsitten zu setzen,
die sich aus dem Zusammensein von Studierenden anderer Stände allein nie
ergeben konnten. Blosses jugendliches sogenanntes Überschäumen oder Gähren
war es nicht, was dabei zu Tage trat. Mit diesem Namen beschönigt man,
beiläufig gesagt, doch meist nur Wüstheit und Insanität. Dem feudal wilden
Karl Moor steckte vielmehr der Räuber als Erbstück (wenn auch unbewusst)
schon im Leibe, ehe er dazu ausserhalb des feudalen Bereichs und im eigent-
lichen Sinne des Worts wirklich wurde.
Thatsächlich und allen historischen Anzeichen gemäss scheint auch das
Meiste studentischer Sitte und Unsitte seit uralten Zeiten aus den Kreisen
des feudalen Landadels und überhaupt der waffenführenden Stände herüber-
gekommen zu sein. Man braucht nur an das akademische Fechtwesen, an
Mensuren und Duelle sowie an die damit verbundene Abseitsgestaltung des
Ehrbegriffs zu denken, um den intimen Zusammenhang all’ dieser Er-
scheinungen mit feudalritterlichen Gewohnheiten und Anschauungen zu er-
kennen. Entsprechen doch auch die in manchen studentischen Kreisen von
jeher geübten sonstigen Extravaganzen auf materiellem Gebiet ganz der
bekannten Neigung feudaler Stände zu luxuriöser, mit allerhand noblen
Passionen verknüpften Lebensart, die sich als Folge allzu reichlicher Musse
nicht nur in neuester Zeit unangenehm bemerkbar gemacht hat, sondern schon
immer ein Gegenstand herbster Kritik seitens schaffender und sich mühender
Klassen, und zwar meist wohl mit Recht, gewesen ist; denn es wäre ein
Irrtum zu meinen, diese Art Leben gehöre als sozusagen berechtigte Eigen-
tümlichkeit dem Waffenhandwerk der höheren Stände an und bilde als histo-
rische Tradition ein unablegbares feudales Erbstück.
Ein Moltke, dessen ganz feudaler Stammbaum nach der von ihm selbst
verfassten Familienchronik bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts zurückreicht,
hat sich jedoch nie von derartigen angeblich erblichen Belastungen bedrückt
gefühlt; vielmehr ist der berühmte Stratege ein ausserordentliches, standes-
exceptionelles Muster gewesen, welches sichtlich ohne Duelle und stets ohne
Verschwendung ausgekommen ist. Seine merkwürdige Ausnahmsstellung
inbezug auf Lebenshaltung ist für unsern Gegenstand besonders interessant,
und wenn wir diese Seite des Moltkeschen Charakters noch etwas näher
beleuchten, so geschieht es nicht bloss des Umstandes wegen, dass das an-
gebrochene Säkularjahr seiner Geburt entsprechende Erinnerungen nahelegt.
Man bedenke nur, Einer, von dessen zweckmässigen oder zweckwidrigen
Anordnungen Leben oder Gesundheit von Hunderttausenden, das triumphie-
rende oder erliegende Schicksal eines Staats, wo nicht gar einer Nation, und
zwar unter Umständen unwiderruflich und für immer abhängen können, —
ein Mann in einer solchen Funktion muss vor allen Dingen Solidität, Kennt-
nisse und Gewissenhaftigkeit haben, und eine Ausstattung mit diesen Dingen
steht gar sehr und vielfach im Zusammenhang mit der Gestaltung der ganz
gewöhnlichen, ja der ganz privaten, um nicht zu sagen häuslichen Lebens-
weise. Eine solche Lebensweise schafft allerdings kein Genie, wo es nicht
ohnedies schon vorhanden ist, aber sie konserviert es, erhält es rein und
unkompromittiert, ersetzt es aber auch bis zu einem gewissen Grade, wo es
fehlt. Lieber Sach- und Fachtüchtigkeit ohne Genie, als künstlerhaft geniale
Extravaganz ohne Gediegenheit und ohne Gewissen! Über Moltke wird, wo
man denken oder nicht denken kann, selbstverständlich gar verschieden
gedacht. Allein Eines wird man trotz allem auch als einstiger blosser Soldat