Full text: Fachbildung, Fachtüchtigkeit und jugendliche Lebensweise

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Auch als Handelspraktiker hat Niebuhr nicht Unbedeutendes, ja man 
kann sagen mindestens ebensoviel, wenn nicht mehr geleistet als manche 
kaufmännische Berühmtheit. Hatte er schon seine wissenschaftlichen Kennt- 
nisse weit mehr durch Selbststudium als in den Hörsälen der Universitäten 
erworben, so war er im Handels- und Finanzfach völlig Autodidakt. Die 
erste theoretische Kenntnis von kaufmännischen Geschäften und finanziellen 
Verhältnissen verdankte Niebuhr nach Mitteilungen seines Freundes Münch 
(„Erinnerungen an Niebuhr“ in Pölitz, Neuen Jahrbüchern der Geschichte 
und Politik, 1889. 1. Band) den handelswissenschaftlichen Schriften von 
Büsch. Während seines Aufenthaltes in England hat er alsdann durch 
Beobachtung, Umgang, selbständiges Nachforschen und tiefes Eindringen in 
den Zustand und die Einrichtungen des Landes die eigentliche Grundlage 
für sein praktisches Können auf finanziellem Gebiet gelegt. Er war von 
der Ansicht tief durchdrungen, dass Finanzkunde, die praktisch angewendet 
werden solle, vielmehr eine Kunst als eine Wissenschaft sei und nicht vom 
Katheder herab dociert, sondern nur durch eigene Forschung, Beobachtung 
und selbständiges Studium erlernt werden könne; es gäbe darin hundert 
Künste und Handgriffe, die man durch eignes Angreifen und langen Be- 
trieb herausgefunden haben müsse. Seine praktischen Erfolge als Regenerator 
wichtiger Zweige der preussischen Finanzverwaltung haben ihm hierin Recht 
gegeben. 
Auch auf speciell kaufmännischem Gebiet, nämlich als Direktor der 
Bank in Kopenhagen, verschaffte er sich innerhalb kurzer Zeit einen so 
weittragenden Ruf, dass der preussische Finanzminister von Stein den eben 
erst dreissig Jahre alt gewordenen Niebuhr zur Übernahme der Verwaltung 
der Seehandlung und der Mitdirektion der preussischen Bank in Berlin 
veranlasste. 
Doch auch seine kaufmännischen Talente vermochten ihn ebensowenig 
zum herzlosen Zahlenmenschen zu machen, wie seine wissenschaftlichen An- 
lagen ihn nicht zum trockenen Stubengelehrten entarten liessen. Sein Ab- 
gang aus Kopenhagen wurde nicht bloss als Verlust einer tüchtigen Finanz- 
kraft bedauert. „Ich glaube“, heisst es in einem Briefe an seine Eltern 
über diesen Punkt, „dass nicht leicht ein anderer Beamter einen so hohen 
Grad von Liebe und Popularität besitzt, als ich auf unserer Börse geniesse, — 
ich darf das ohne Eitelkeit sagen, und sage es mit Rührung —, wo der 
tägliche Umgang, die Gemeinschaftlichkeit der Interessen, und der allgemeine 
Beifall, den meine Administration der Bankgeschäfte geniesst, mich mit den 
verschiedenartigsten Leuten verbunden hat. Bisher haben alle, die es 
erfuhren, dass wir Kopenhagen verliessen, ihr Bedauern auf eine sehr rührende 
Weise, mehrere mit Thränen, geäussert, und ich kann mit Zuversicht er- 
warten, dass mein Ruf im Andenken bleiben und mein Name geachtet sein 
wird.“ Wie wenig ihm aber doch trotz alledem die Bank- und Börsenwelt 
im persönlichen Sinne innerlich behagte, darüber geben Briefstellen aus seiner 
Korrespondenz mit dem ihm intim befreundeten Grafen Adam Moltke be- 
merkenswerten Aufschluss. So schreibt er am 21. Mai 1804 über seine 
neue Thätigkeit als Bankdirektor aus Kopenhagen: „Diese (die Lästigkeit 
und ununterbrochene Stetigkeit der Arbeiten) und die Art von Menschen, 
mit denen man umgehen, die man zu Freunden halten muss, machen meine 
Lage drückend.“ In einem etwas späteren Briefe heisst es: „Rechnungen 
sind meine Beschäftigung, Kaufleute, Juden, Mäkler mein Umgang. Alci- 
biades hatte nicht Unrecht, dass man unter Thraciern und Persern in ihrer 
Art sich hervorthun müsse (wenn man unter ihnen lehen will, oder muss
	        
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