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ein solches praktisches Unternehmen ist selbstverständlich jemand nötig, dessen
eignes Auge überall hindringt. Es bewahrheitet sich hier der Satz, dass
an einzelnen Personen meist, und in Verwaltungsangelegenheiten stets alles
hängt. Überdies bestätigt der fragliche Ausgang eines an sich auf solidester
Grundlage errichteten Unternehmens aber auch die Richtigkeit eines heute
öfter diskutierten Erziehungsprincips. Abseitsführende Neigungen der Jugend
lassen sich nicht durch allzu gehäufte Freiheitsreglementierungen unschädlich
machen oder gar ausmerzen; die Kunst des Erziehers besteht vielmehr darin,
solche Triebe, die einmal von Natur vorhanden sind und demgemäss weder
entwurzelt werden können noch sollen, zu veredeln und sich in einer Art
und auf Gebieten bethätigen zu lassen, wo sie sich in einer guten Richtung
zu genügen vermögen. Bisweilen auch ganz gewöhnliche Neigungen bieten
für die Veredlung oder für die Fernhaltung von Verzerrungen genug Hand-
haben dar, und wenn nicht infolge alter Vorurteile alle Sinnestriebkräfte als
unwürdige Gegenstände in Verachtung gebracht und dadurch erst recht Ver-
wilderungen oder Verfälschungen sittlicher Mächte befördert worden wären,
dann würde die höhere Kultur der Triebempfindungen einen ansehnlichen
Teil ihrer edlen Aufgabe längst gelöst haben, — vorausgesetzt nämlich, dass
man über der positiven Bethätigung nicht auch das notwendige Mass von
Einschränkung vernachlässigt, wie man umgekehrt über allzu einseitiger
Fixierung der Einschränkungsideen bisher nur allzu oft den erforderlichen
Spielraum freien Ergehens ausser Rechnung gelassen hat. Doch hiermit
streifen wir bereits ein Gebiet, das zu unserm Thema in keiner direkten
Beziehung steht und sich in beiläufiger Weise ohne Gefahr, Missverständnisse
hervorzurufen, nicht wohl behandeln lässt. In der Jugenderziehung — das
muss aber doch betont werden — liegt ein letzter und massgebender Grund
und Ursprung aller Lebensführungen; denn ihr äusserstes Ziel ist die Heran-
bildung des Charakters, soweit dieser überhaupt nicht schon unabänderlich
angeboren und für nachträglich modifizierende Gestaltungseinflüsse noch empfäng-
lich ist. Grade aber diejenigen Bestandteile des Charakters, die auf Zufüh-
rung von bewusst sittlichen Antrieben und auf Mitteilung von Einsichten,
also auch von Wissensstoff beruhen, sind glücklicherweise von nicht gering-
fügiger Bedeutung und überdies die einzigen, um die man sich vom erziehen-
den und lehrenden Standtpunkt aus überhaupt bemühen kann. Wie sehr
aber erworbene Charakterhaltung und Lebensgewohnheiten mit Wirken und
Schaffen, mit Leistungen, Thaten und alledem entsprechender Fachtüchtigkeit
zusammenhängen, das glauben wir im Laufe dieser Darstellung durch kritische
Hinweisungen auf die Lebensarten der verschiedenen Stände und durch
Charakterisierung hervorragender Beispiele dargethan zu haben. Bei einem
Moltke, dessen strategische Leistungen grade heute wieder als dringend
nachahmenswerte, aber noch immer als unerreichte Meisterwerke gepriesen
und bewundert werden, bildete die charaktervolle Einfachheit der Lebens-
führung sogar einen schneidenden Kontrast zu den Gewohnheiten seiner Um-
gebung. In diesem, ihm wohl bewusst gewesenen Gegensatz liegt zum nicht
geringen Teil die Erklärung für Moltkes militärische Überlegenheit, aber
auch zugleich die entschiedene Verurteilung feudaler Uppigkeit und Aus-
schreitungen.
Ein specieller Nachweis des innern Zusammenhangs privater Lebens-
weise und Fachleistungen ist freilich in vielen Fällen nicht leicht, denn
zuverlässige Nachrichten über das intimere Privatleben wirklich bedeutender
Persönlichkeiten sind, falls nicht autobiographisches oder briefliches Material
vorliegt, selten zugänglich, und was andrerseits an Lebensbeschreibungen un-