Full text: Fachbildung, Fachtüchtigkeit und jugendliche Lebensweise

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Rasse vor der romanischen in Bezug auf Lebens- und Charakterhaltung, also 
grade in einer moralisch entscheidenden Beziehung, etwas voraus. Mit dem 
französischen Esprit hat sich von jeher eine gewisse excentrische Leichtlebig- 
keit verbunden, die sich allerdings, wenn mit feuriger Leidenschaft gepaart, 
im Laufe der Geschichte zu vereinzelten welterschütternden, heroischen Thaten 
aufgeschwungen, aber auf die Dauer nicht vermocht hat, das Errungene im 
sichern Besitz zu erhalten. Im Gegensatz zu dieser französischen Heiss- 
blütigkeit steht der deutsche gesetzte und ruhig überlegende Charakter. 
„Erst wägen, dann wagen“. Moltkes Wahlspruch charakterisiert zugleich 
ein wenig die ganze deutsche Nation, und die Geschichte zeigt, dass sich damit 
etwas auch für die Zukunft Haltbares ausrichten lässt. Freilich sind ge- 
wisse Kreise des deutschen Volks noch weit von der einfachen Lebens- und 
Denkweise eines Moltke entfernt; es ist daher zu wünschen und zu hoffen, 
dass auf deutschem Boden die alten Biertraditionen doch noch einigermassen 
überwunden und veredelt werden und dass sie mindestens nicht in Kreise 
dringen, in denen sie noch mehr Verwüstungen anrichten müssen als auf 
ihren bloss feudalen oder studentischen Tummelplätzen. 
Der Handel hat nämlich schon ohnedies da, wo er sich mit eigentlicher 
Spekulation berührt oder gar in ihr aufgeht, genug Verleitungsgründe zu 
Waghalsigkeiten. Alle Spekulation beruht ihrer Natur nach einigermassen 
auf etwas Schalten mit dem Zufall, also mit mehr oder minder unberechen- 
baren Umständen, wie alle Dinge und Anschläge, welche, zunächst im Geiste 
concipiert, durch das Würfelhafte im Thatsachenlauf und in der Erfahrung 
dementiert werden können, soweit an den Misserfolgen nicht etwa schon die 
eigne vorgängig unrichtige Auffassung der jedesmaligen Verhältnisse schuld 
ist. Mit dem Zufall im Übermass rechnen, heisst aber, sich dem Glücks- 
spiel in die Arme werfen, und bei solchem Verhalten ist die Kluft zwischen 
der Börse und dem Rouge et Noir nicht allzu gross. Wer daher in jungen 
Jahren nicht gelernt hat, seine Neigungen und Leidenschaften zu beherrschen, 
wird auch im späteren Alter den Verlockungen falscher, würfelhafter Speku- 
lation nicht widerstehen können. Hier bedarf es also um so mehr eines 
von vornherein wirksamen Gegengewichts, und nichts kann die aufwiegende 
und entgegenarbeitende Funktion besser ausüben, als eine möglichst früh- 
zeitige Gewöhnung an Ordnung und berechnende Umsicht in der Lebensweise. 
Nicht dass kaufmännische Spekulation überhaupt verwerflich wäre; sie 
ist vielmehr eine sachlich und fachlich berechtigte Seite alles ausgedehnteren 
Handels, ja sogar ein notwendiges, produktives Element der gesamten Volks- 
wirtschaft. In ihrer gesunden Bethätigung sucht und entdeckt sie oft neue 
Quellen des Reichtums, erfindet die zweckmässigsten Mittel zu dessen Be- 
schaffung und vervielfältigt ihn durch neue Formen oder Kombinationen des 
Kredits, des Transports, der Cirkulation oder selbst durch Anregung zu 
fruchtbarer Thätigkeit. Allein der Leichtsinn und die Waghalsigkeit darin 
gehören nicht notwendig mit zu all’ diesen Operationen, Es kann auch eine 
solide Spekulation geben, ja etwas Spekulation gehört mehr oder weniger zu 
jedem Geschäftsbetrieb. Diese wird aber immer je nach der sonstigen Be- 
schaffenheit der Person geraten, um so umsichtiger und nachhaltig erfolg- 
reicher, je mehr die ganze, geschäftlich agierende Persönlichkeit in allen 
Beziehungen an Mass und Berechnung gewöhnt ist, je mehr sie also schon 
früh gelernt hat, ihr Leben zweckmässig und nach soliden Grundsätzen ein- 
zurichten. — 
Lebensart und Charakter, beide hängen auf das innigste zusammen und 
verhelfen  gemeinsam, wenn sie gut geartet sind, dem soliden Wissen zum
	        
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