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einem Gauss, einerntete. Verglichen mit den heute tonangebenden
oder, besser gesagt, an der Oberfläche befindlichen, selbstverständ-
lich männlichen Persönlichkeiten, stellte sie eine Figur vor, die
offenbar theils durch speciell mathematische Vorzüge theils durch
Ueberlegenheit des Gesammtgeistes im Ganzen einen so bedeutenden
Eindruck macht, dass ein Hinausragen ihrer Fähigkeiten über die
Anlagen, mit denen heute die Tagesautoritäten ausreichen, für den
Kenner der Geschichte und Gegenwart der Mathematik keinem
Zweifel unterworfen ist. Ueberdies war sie eine feinsinnige Den-
kerin über allgemeine Wissenschaft und Philosophie, und wer sich
für die Ergebnisse ihres freien Blicks in dieser Richtung interessirt,
mag ausser den Anführungen in der zweiten Auflage meiner Ge-
schichte der Mechanik auch die Gesammtkennzeichnung nachlesen,
mit der ich ihr in der zweiten Auflage meiner Geschichte der Philo-
sophie eine auf diesem Gebiet noch ungewohnte Erinnerung zu
stiften versucht habe. Aber alle jene vorzüglichen Eigenschaften
und Leistungen haben es dennoch nicht bewirken können, dass der
Name Sophie Germains gebührend zur Erwähnung gelangt. Der
Neid der kleingeistigen Autoritätchen, die tief unter ihr stehen, regt
sich jedesmal, wenn die wissenschaftlichen Leistungen eines Weibes
neben den hölzernen Gestellen der gemeinen männlichen Fabrik-
waare an Hauptprofessoren und Hauptakademikern in Frage kom-
men. Es sind daher nur die höchstbegabten und daher neidlosen
Naturen, die gleich einem Lagrange für solche Fähigkeiten und
Verdienste die gebührende Werthschätzung haben konnten.
Wenn die Beispiele ersten Ranges, verglichen mit denen zwei-
ter und dritter Ordnung nur spärlich oder gar vereinzelt anzutreffen
sind, so entspricht dies nicht etwa blos jener Seltenheit des Vorzüg-
lichen, die der Männer- und Frauenwelt gemeinsam ist, sondern es
kommt im Bereich des weiblichen Geschlechts auch noch der hoch-
wichtige Umstand hinzu, dass hier Anregung und Gelegenheit zum
Wissenschaftsbetrieb fast gänzlich gefehlt haben. Die gesellschaft-
lichen Einrichtungen beliessen das Weib ausserhalb der gelehrten
Verrichtungen, während innerhalb der Männerwelt die Industrie der
Gelehrtenausbildung ihren allgemeinen Rohstoff, das Menschen-
material, fortwährend in bostimmten Mengen verarbeitete. Bei letz-
terer Massenproduction mussten sich ab und zu einzelne besonders
gelungene Exemplare ergeben; denn nach Grundsätzen der Wahr-
scheinlichkeitsveranschlagung sind nur bei einer grossen Auswahl
regelmässige Aussichten vorhanden, gelegentlich etwas von Natur