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sondern auch das natürliche Interesse der Frauenwelt, für sich und
ihre Töchter, ja überhaupt für ihre Kinder weibliche Aerzte zu
haben, energisch in das Spiel käme. Ja sogar die Männer möchten
vielleicht diesem Interesse auch ihrerseits einige Beistimmung zollen,
insofern es nämlich auch ihnen nicht gleichgültig sein kann, ob das
naturgesetzliche Widerstreben des gesunden und unverdorbenen
Sinnes verachtet und das Weib gezwungen wird, da in Beziehung
auf seine Zustände und Eigenschaften körperlicher und geistiger Art
im höchsten Maasse vertraulich zu werden, wo es dies auch nicht im
geringsten will oder soll. Diesen Grund mögen sich namentlich
diejenigen zu Gemüthe führen, bei denen doch sonst die Rücksicht
auf das Wohlanständige angeblich ein so grosses Gewicht hat. Die
materialistische Naturmoral dürfte hier den männlichen Aerzten, die
jenes Widerstreben in ihrer gewohnheitsmässig verschobenen Denk-
weise nicht anerkennen, einen argen Streich spielen; denn sie lehrt,
dass es, abgesehen von Alter oder Abstumpfung, keine vertrauten
Annäherungen oder Mittheilungen zwischen den beiden Geschlechtern
geben kann, ohne dass gegenseitige Reizungen nahelägen und min-
destens die peinliche Bemühung nothwendig machten, da die strengste
Zurückhaltung zu üben, wo doch die Sache selbst die ungenirteste
Mittheilung aller auf die Gesundheit von Körper und Gemüth be-
züglichen Thatsachen erfordert. Grade wer nicht zu den Verehrern
des conventionellen und in so vielen Punkten durchaus abseits ge-
rathenen Anstandes gehört, wird den wirklichen Naturgesetzen, wie
sie sich in den Veredelungen einer echten Cultur auszuprägen haben,
volle Rechnung tragen. Man findet es noch vielfach ungeheuerlich
und gefährlich, dass Studirende beider Geschlechter zusammen den-
selben Vortrag anhören; aber eben dieselben Professörchen oder
sonstigen Jünger des sich seltsam widersprechenden Geistes alter
Vorurtheile stellen sich lächelnd an, wenn man in der Behandiung
der Frauen aller Altersstufen durch Aerzte, die ebenfalls allerlei
Varianten der Altersentwicklung angehören, eine lästige Unzuträg-
lichkeit sieht. Der Rath, den Mephisto- Goethe dem angehenden
Studirenden zu Gunsten der vortrefflichen Chancen der Medicin gab,
dürfte zwar für alle Zeit die Quelle, von der er ausging, gekenn-
zeichnet, aber doch auch ebenso eine wohlbeobachtete Wahrheit ent-
halten haben und einen unveräusserlichen Zug der ärztlichen Praxis
bilden, für den sich freilich die grössere oder geringere Ausdehnung
nicht statistisch festgestellt findet. Dieser edle Rath bestand be-
kanntlich darin, die Angelegenheiten der Gesundheit getrost dem