Full text: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten

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prüfung entscheidet Alles, und daneben nimmt sich die Doctorirung, 
wo sie überhaupt noch im Hinblick auf ein Stück, an diesem Titel 
haftenden Volksaberglauben stattfindet, wie eine altfränkische Zunft- 
ceremonie aus, bei der das einzige Reelle und vollhaltig Gediegene 
die Kosten sind, die sie zu Gunsten der Börsen der gelehrten Zunft- 
meister verursacht. Doch ich will hier nicht noch einmal ein Thema 
erörtern, welches grade ich in meinem Anfangs 1875 erschienenen 
„Cursus der Philosophie“ bei Besprechung des Unterrichts zuerst 
ernsthaft und zwar dergestalt auf die Tagesordnung gebracht habe, 
dass man sich von gegnerischer, aber in diesem Punkte behufs 
Wahrung eines scheinbaren Anstandes doch ein wenig zum Refor- 
meln geneigter Seite aufgestachelt fühlte und nun selbst eine Art 
Streifzug, wenn auch selbstverständlich nicht gegen das Unwesen 
der Doctorei überhaupt, so doch gegen einige dem Publicum besonders 
in die Augen fallende corrupte Praktiken desselben unternahm. 
Hiemit wurde natürlich so gut wie gar nichts gebessert, und der 
ganze Standpunkt, eine abgelebte Sache wieder zu einem für das 
Publicum lebenlügenden Scheindasein galvanisiren zu wollen, ist, 
wenn nichts Schlimmeres , eine stark nach Gelehrsamkeitsromantik 
schmeckende Illusion, 
Doch lassen wir den Doctor und die Doctorin der verschieden- 
sten Facultäten auf sich beruhen. Die Gelehrsamkeit, die davon 
umhüllt wird, ist für die wissenschaftliche Zergliederungskunst ein 
wichtigerer Gegenstand. Der Leichnam der todten Gelehrsamkeit 
erfordert einige Anatomie, und wenn die weibliche Aspirantenwelt 
einmal mit dem Bau des scholastischen Skeletts eine genauere Be- 
kanntschaft gemacht haben wird, dürfte sie sich von dem Gerippe 
and seiner mittelalterlichen Zusammenfügung nicht mehr sonderlich 
angezogen finden. Allerdings haben die Staatsprüfungen Einiges 
ein klein wenig modernisirt; denn die centralistische Polizeigewalt des 
neuern Einheitsstaats hat, wie in Rücksicht auf alles Zunftwesen, 
so auch im Verhältniss zu den gelehrten Zünften, immerhin ein 
Stückchen Fortschritt vertreten. Sie hat zwar die Universitätszünfte, 
statt sie wegzuschaffen, nur einigen ihrer eignen Zwecke dienstbar 
vemacht und sie ein wenig in ihren eignen Rahmen hineingezogen; 
sie hat aber doch bei dieser Gelegenheit den Zunftgeist wenigstens 
durch den weniger unmodernen Typus der Büreaukratie hier und 
da gemässigt und hat sich neuerdings oft genug in der Lage gesehen, 
mit der Initiative zur Abschneidung einzelner ganz unerträglich ge- 
wordener Zöpfe vorzugehen. Sie hat grade bei den hartnäckigsten
	        
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