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sprache und mithin die ganze Erbschaft des verwesten Römischen
Reichs völlig abzuthun. Unmittelbare Kenntniss der Sachen im
modern wissenschaftlichen Sinne ist bei den Alten nicht zu haben.
Die Literatur des Römerthums aber ist sogar unwissenschaftlich
gewesen und hat, in Ermangelung schöpferischer Anlagen, blos das
Griechenthum nachgeahmt und zwar meistens recht dürftig copirt.
Zur eigentlichen Wissenschaft hatten die Römer niemals irgend
welche angestammte Neigung; die Schöngeisterei der ersten Zeiten
ihres Kaiserthums war, wie gesagt, erborgt und obenein ziemlich
servil. Was aber die sogenannten classischen Juristen anbelangt
die sich in den ersten Kaiserjahrhunderten ausprägten, so sind von
ihren Werken nur Trümmer und Mosaikstückchen vorhanden, und
die verhältnissmässige Schärfe ihrer Manier, privatrechtliche Vor-
stellungen zu zersplittern, hat als Schulungsmittel neuerer Gelehr-
samkeit im Werthe immer mehr sinken müssen, je entschiedener
sich herausstellte, dass sich jene Formen des Denkens von dem
völlig fremdartigen Rechtsstoff nicht trennen liessen. Dieser Rechts-
stoff selbst ist aber nunmehr in der sogenannten reinen Gestalt ein
Gegenstand der romanistischen Philologie geworden und hiemit seiner
Ausrangirung aus den wirklichen Bildungsmitteln näher gerückt.
Dieses Stück Philologie kann ebensowenig, wie die sonstigen alt-
sprachlichen und alterthumskundlichen Gelehrsamkeitsreste, dem mo-
dernen Menschen als Bildungsmittel zugemuthet werden. Die so-
genannte classische Bildung auf den Gymnasien sollte eher altsprach-
liche Verbildung heissen, und die mächtigen industriellen Classen, in
denen das Blut des neuern Lebens pulsirt, werden schliesslich schon
dahin gelangen, die altsprachlichen Zollschranken niederzureissen.
Diese modernen Gesellschaftselemente werden sich nicht immer ge-
fallen lassen, dass ihre sonst einflussreichsten Mitglieder von der
Staatsverwaltung, vom Richter- und Advocatenstande und überhaupt
von allen gelehrten gesellschaftlichen Functionen ausgeschlossen
bleiben, weil ihr sachlicher Bildungsgang ihnen die Einlassung mit
dem Todtenputz philologisch lebloser Verbildung nicht gestattet hat.
Eines ist aber eben nur möglich, und bei der Wahl zwischen Sach-
wissenschaft und Wörtergelehrsamkeit kann die Entscheidung für
den modernen Menschen nicht zweifelhaft sein. Die vermeintlich
bildende Kraft, die das grammatische Wiederkäuen lateinischer und
Griechischer Schriftsteller auf den Gymnasien zur Formung des
Geistes haben soll, ist nie die Ursache der Einführung solcher todten
Künste gewesen, sondern hinterher als Scheingrund erfunden, um