Full text: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten

43 — 
sprache und mithin die ganze Erbschaft des verwesten Römischen 
Reichs völlig abzuthun. Unmittelbare Kenntniss der Sachen im 
modern wissenschaftlichen Sinne ist bei den Alten nicht zu haben. 
Die Literatur des Römerthums aber ist sogar unwissenschaftlich 
gewesen und hat, in Ermangelung schöpferischer Anlagen, blos das 
Griechenthum nachgeahmt und zwar meistens recht dürftig copirt. 
Zur eigentlichen Wissenschaft hatten die Römer niemals irgend 
welche angestammte Neigung; die Schöngeisterei der ersten Zeiten 
ihres Kaiserthums war, wie gesagt, erborgt und obenein ziemlich 
servil. Was aber die sogenannten classischen Juristen anbelangt 
die sich in den ersten Kaiserjahrhunderten ausprägten, so sind von 
ihren Werken nur Trümmer und Mosaikstückchen vorhanden, und 
die verhältnissmässige Schärfe ihrer Manier, privatrechtliche Vor- 
stellungen zu zersplittern, hat als Schulungsmittel neuerer Gelehr- 
samkeit im Werthe immer mehr sinken müssen, je entschiedener 
sich herausstellte, dass sich jene Formen des Denkens von dem 
völlig fremdartigen Rechtsstoff nicht trennen liessen. Dieser Rechts- 
stoff selbst ist aber nunmehr in der sogenannten reinen Gestalt ein 
Gegenstand der romanistischen Philologie geworden und hiemit seiner 
Ausrangirung aus den wirklichen Bildungsmitteln näher gerückt. 
Dieses Stück Philologie kann ebensowenig, wie die sonstigen alt- 
sprachlichen und alterthumskundlichen Gelehrsamkeitsreste, dem mo- 
dernen Menschen als Bildungsmittel zugemuthet werden. Die so- 
genannte classische Bildung auf den Gymnasien sollte eher altsprach- 
liche Verbildung heissen, und die mächtigen industriellen Classen, in 
denen das Blut des neuern Lebens pulsirt, werden schliesslich schon 
dahin gelangen, die altsprachlichen Zollschranken niederzureissen. 
Diese modernen Gesellschaftselemente werden sich nicht immer ge- 
fallen lassen, dass ihre sonst einflussreichsten Mitglieder von der 
Staatsverwaltung, vom Richter- und Advocatenstande und überhaupt 
von allen gelehrten gesellschaftlichen Functionen ausgeschlossen 
bleiben, weil ihr sachlicher Bildungsgang ihnen die Einlassung mit 
dem Todtenputz philologisch lebloser Verbildung nicht gestattet hat. 
Eines ist aber eben nur möglich, und bei der Wahl zwischen Sach- 
wissenschaft und Wörtergelehrsamkeit kann die Entscheidung für 
den modernen Menschen nicht zweifelhaft sein. Die vermeintlich 
bildende Kraft, die das grammatische Wiederkäuen lateinischer und 
Griechischer Schriftsteller auf den Gymnasien zur Formung des 
Geistes haben soll, ist nie die Ursache der Einführung solcher todten 
Künste gewesen, sondern hinterher als Scheingrund erfunden, um
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.