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nicht zu sagen erlogen worden. Seit den Zeiten Petrarca’s und
überhaupt mit der literarischen Renaissance hatte man sich aus Be-
dürfniss, in einer Art Anwandlung von Classicitätsromantik und
zum Theil auch um ein Gegenstück zur religiösen Barbarei zu
pflegen, den alten Schriftstellern zugewendet, und der sogenannte
Humanismus von antik literarischer Haltung hatte eine gewisse Be-
rechtigung. Indessen würde man doch nicht die gelehrten Anstalten
gymnasialer Art sowie den ganzen Gelehrtenverkehr auf das Latein
gegründet haben, wenn wirklich die geistige Beschaffenheit der
schriftstellerischen Ueberlieferungen und nicht vielmehr die alten, von
der Kirche herstammenden Gewohnheiten maassgebend geworden
wären. Die Griechische Literatur hatte allein einigen Gehalt; aber
grade die Kenntniss und Einschulung der Griechischen Sprache
blieb stets und bis auf den heutigen Tag eine dürftige. Es ist also
eitel Blendwerk, wenn man sich heute hinter angeblich formalistische
Vortheile zu flüchten und so zu sagen auf die Turnkünste an den
alten Sprachen zu steifen sucht. Selbst wenn die schulmässige Zer-
klitterung zum Theil geringwerthiger Autoren geschichtlichen oder
belletristischen Genres im altsprachlichen Gebiet besondere Vortheile
böte, wovon aber grade das Gegentheil der Fall ist, — selbst wenn
also die formelle Sprachbildung hier ernsthafte Förderung erführe,
so würde dennoch jeder moderne Gegenstand vorzuziehen sein, weil
das Opfer, sich etwas sachlich Nutzloses mit grosser Mühe und er-
heblichen Kosten anzueignen, um eine blos formelle Uebungsfrucht
davonzutragen, denn doch Angesichts des riesenmässig angewach-
senen Materials unmittelbarer und lebendiger Sachinteressen eine zu
komische Zumuthung wäre. Solch eine Zumuthung kann eben nur
von Jemand ausgehen, der sich als philologischer Pedant in seine
Winkelwelt derartig eingehaust hat, dass er in seiner Eitelkeit sein
Wörterhäuschen für die grosse Welt der Dinge nimmt und seine
„Facultas“ für lateinische und Griechische Knabendrillung mindestens
als eine Art Braminenthum der Bildung ansieht, während er sich
doch in Wahrheit zu den Theologen gesellen und mit seinem alt-
sprachlichen Priesterthum gegen wahrhaft aufklärende Sachwissen-
schaft nur eine reactionäre Front formiren kann. Auch ist es der
Mangel an wirklichem Wissen und ernsthafterer Bildung, was die
altsprachlichen Matadore so gewaltig aufregt, wenn Jemand der
Heiligkeit und den Wunderwirkungen ihrer Manipulationen den
Glauben versagt. Sie fühlen nämlich schon einigermaassen, dass sie
nichts sind und mit ihrer sachlichen Bildungslosigkeit zu einer ko-