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gehört, so gebe ich ein paar Stellen daraus in wörtlicher Ueber-
setzung. Miss Archer schrieb: „Ich bitte, Dr. Dühring darüber zu
verständigen, dass nirgend in ganz Berlin solche Freiheit besteht,
wie im Victorialyceum. — Vox populi vox dei*) — ist unser Motto.
Der Dr. Dühring ist erwählt worden von den „dei“ — er hat nun nur
den „populi“ zu gefallen (to please), durch sie wird er stehen oder fallen
(by them he will stand or fall).“ Ueberdies bemerkte sie, dass es,
was die speciellen Bedenken bezüglich ihrer Ansichten betreffe, ihr
nicht im Traume einfalle, irgend einen „Gewissenszwang“ zu üben.
Hienach lag die Sache klar. Der Standpunkt auf Seiten Miss
Archers war ein rein geschäftlicher, und dies konnte mir Recht sein.
Ich hatte, meinen Erkundigungen entsprechend , zunächst nur die
eine Seite des Fräuleins, nämlich einige Religiosität der Englischen
Art vorausgesetzt und ich fand nun, dass dieses Element, wie ja bei
Engländern und Amerikanern so häufig, von den unternehmerisch
geschäftlichen Rücksichten überwogen und zwar in einem Maass
überwogen wurde, dass sich auch von meinem Standpunkt damit
rechnen liess. Noch mehr beruhigte mich in den vorher angeführten
Sätzen die Liebhaberei für unverstandene lateinische Sprüchwörter
und die schöne Schiefe der Vergleichung. Die „Götter“, das hatte
sie. eigentlich sagen wollen, d. h. diejenigen Damen, welche als Ver-
treter des übrigen Frauenpublicums im Lyceum für sich eine zu-
sagendere Art von Geistesnahrung verlangt hatten, waren die maass-
gebenden Erwähler gewesen und es sollte nun nur darauf ankom-
men, auch dem weiter sich anfındenden Publicum zu genügen oder,
wie Miss Archer in ihrer Unternehmersprache sich ausdrückte, zu
„gefallen“. Ein Punkt des Anstosses, nämlich die zur Anstands-
verzierung bei den Lyceumsvorträgen übliche Anwesenheit der Miss
Archer, erschien mir nun auch nicht mehr als eine Freiheitsbeschrän-
kung oder sonst für einen Vertreter der strengen Wissenschaft un-
ziemliche Gene, da ich im Voraus sicher war, für die Urheberin
jener so gelungenen Auslegung des Sprüchworts geistig so gut wie
gar nicht da zu sein. Auch wird man aus einem der folgenden
Briefe sehen, wie Miss Archer selbst eingesteht, als Ausländerin
einer Deutschen Erörterung selbst dann, wenn sie sich nicht einmal
auf wissenschaftliche Fragen bezieht, nicht mit Verlässlichkeit folgen
zu können. Gegenüber der Bildung einer Lehrerin des Englischen
und den Eigenschaften einer höheren Gouvernante war nicht einmal
*) Volkes Stimme Gottes Stimme