Full text: Sozialpädagogik

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Um von den manchen hierher gehörenden konkreten Fragen 
wenigstens 'eine auch im besonderen zu behandeln: wie weit 
reicht wohl die Verpflichtung, an öffentlichen Zuständen öffent- 
lich Kritik zu üben? Es ist wahr, daß Feigheit tausend Gründe 
findet, die Grenzen dieser Verpflichtung so eng wie möglich 
zu ziehen; aber es gibt allerdings Grenzen. Wer schweren 
Tadel: gegen Zustände, die den Schutz der öffentlichen Mächte 
und Autoritäten genießen, auf eigene Gefahr wagt, hat im 
allgemeinen das günstige Vorurteil für sich, rein der Wahrheit 
zu dienen, wenigstens ernster, wohlgeprüfter Überzeugung 
Ausdruck zu geben. Aber leider hat Eitelkeit des Besser- 
wissens, die kleinliche Freude eine Rolle zu spielen, ja die 
Lust am Streit daran oft so viel und mehr Anteil als der 
lautere Wahrheitssinn und die ernste Sorge ums gemeine Beste. 
Schwerwiegende Urteile über öffentliche, d. h. in den Folgen 
weittragende Verhältnisse soll man gewiß nicht öffentlich aus- 
sprechen ohne die sorglichste Prüfung erstens. der Sache, die 
man behauptet, und zweitens der Umstände und voraussicht- 
lichen Folgen. Ist man aber seiner Sache gewiß und können 
die Folgen, die es haben. kann, im ganzen nur heilsame sein, 
handelt es sich überdies um Fragen von einschneidender Be- 
deutung für das Gemeinwesen, so hat man nicht bloß das 
Recht, sondern die dringendste Pflicht, seine Überzeugung mit 
allem Nachdruck auszusprechen auf jede eigene oder selbst 
fremde bloß persönliche Gefahr. Sogar eine Gefahr fürs Vater- 
land dürfte in solchem Fall nicht in Erwägung kommen. 
Soll uns das Vaterland „über alles in der Welt“ gelten, so 
heißt das sicher nicht: auch über die Wahrheit; als ob ein 
Vaterland ohne Wahrheit bestehen könnte. Gerade dem Vater- 
land schulden wir über alles und vor allem Wahrheit; wir 
haben, als sittliche Menschen, kein Vaterland, wenn es die 
Wahrheit nicht verträgt. Und wenn die Wahrheit bitter ist, 
so ist es wahrscheinlich umso nötiger, daß sie gesagt wird. 
Im’ allgemeinen ist es notwendig, daß, was wahr ist, nicht 
ungesagt bleibe; nur folgt daraus nicht, daß es gleichgültig 
wäre, wer es sagt, zu wem, wie und unter welchen Um- 
ständen.
	        
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