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der Willensherrschaft in der Erkenntnis. Sie
erziehen zum Gewissen der Wahrheit. Übrigens bleibt
auch das Stoffliche der Naturwissenschaft (in der Mathematik
ist eigentlich nichts Stoff, sondern die Form alles) nicht gleich-
gültig für den Aufbau der Willenswelt. Denn alles Natürliche
ist zugleich Materie für den Willen, und wiederum ist die
Natureinheit, als eine Idee der Vernunft, die Voraussetzung für
die reine Ausarbeitung der Idee einer Einheit der Zwecke.
Eben deswegen darf man es nicht scheuen, sie, als Idee, auch
aufs organische Reich und also auf den Menschen nach allem,
was an ihm Natur ist, bis zu den unmittelbaren (physischen)
Voraussetzungen sogar der Willenshandlung auszudehnen. Daß
die Wahrheit der Sache es so fordert, sollte für sich allein
entscheiden; übrigens existiert auch die Gefahr, die man sich
dabei einbildet, in der Tat nur in der Einbildung. Denn je
sicherer durch das ganze Verfahren der Intellektbildung die
kritische Einsicht ermöglicht und vorbereitet ist, daß die
Natur selbst, eben in dieser strengen, allumfassenden Einheit
gedacht, eine bloße Idee, d. i. ein Entwurf der Vernunft ist.
um so weniger braucht man vor der reinen, rückhaltlosen
Durchführung dieser Idee noch irgend ein geheimes Grauen zu
empfinden. Welche positiven Hilfen über dies alles gerade die
Willenserziehung von der vollen Beachtung der Naturbedingt-
heit des Menschendaseins auch im Praktischen zu erwarten
hat, ist z. B. durch Julius Baumann ?) in einem Sinne, den
wir durchaus anerkennen können, und mit so gründlicher Sach-
kenntnis ausgeführt worden, daß ich mich begnügen . darf,
darauf als auf eine sehr willkommene Ergänzung gegen-
wärtiger Ausführungen zu verweisen.
Aus allen diesen Erwägungen ergibt sich ein hoher Wert
gerade des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts
für die Willensbildung, den man ihm gemeinhin nicht hat ein-
räumen wollen; ein Wert, der gerade darin beruht, daß diese
Fächer, mehr als andre, reine Intellektbildung bieten. In
1) Über 1 Willens- und Charakterbildung auf physiol.-psychol. Grund:
lage. (Sammlung v. Abh. a. d. Geb. d. pädag. Psychol. u. Physiol., Bd 1,
H. 3. Berlin, Reuther u. Reichard.)