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die bloße Gesetzmäßigkeit des tatsächlichen Geschehens,
in der praktischen durch die Erkenntnis einer Einheit der
Tendenz, die als nicht bloß der Erfahrung gemäß bestehend,
sondern, unabhängig von diesem erfahrungsmäßigen Bestand.
bestehen sollend gedacht wird. N
Der Zusammenhang des Geschichtlichen mit dem Sittlichen
ist nach dieser Auffassung wahrlich eng und zwingend genug.
Man hat also nicht darin geirrt, daß man von der Weckung
des geschichtlichen Bewußtseins eine ethische Wirkung er-
wartete, die auf keinem andern Wege zu erreichen und doch
unumgänglich notwendig sei allermindestens für die, denen an
der Leitung des Volks irgend ein Maß von Anteil künftig zu-
fallen soll. Allein es hat hierbei zumeist an der hier alles
entscheidenden Einsicht gefehlt, daß diese Wirkung in der
Geschichte zunächst nur liegt, sofern sie erlebt, nicht,
sofern sie bloß erzählt wird. Gewiß wird das Erlebte natur-
gemäß streben sich auch durch Erzählung zu befestigen, um
so in unvergeßlichem Gedächtnis fortzuwirken. Allein die
Erzählung, auch wenn vertieft zur ernsteren Erforschung, ver-
liert alsbald alle Kraft der sittlichen Wirkung, wenn sie nicht
ihre überzeugende Bestätigung findet in den ferneren, unmittel-
baren Erlebnissen der Gemeinschaft. Daraus ergibt sich die
sehr ernste Folge, daß die sittliche Wirkung, die man dem
Geschichtsunterricht zutraut, eine gesunde sittliche Ver-
fassung der Gemeinschaft selbst, die in ihm ihre Geschichte
dem in sie hineinwachsenden Geschlecht erzählt, zur Voraus-
setzung hat; eine Voraussetzung, die zu ersetzen der Unterricht
— zumal der bloß erzählende — bei weitem zu schwach ist.
Sagt also Herbart, an sich unanfechtbar, daß der Unterricht.
wie im Theoretischen die „Erfahrung‘, so im Praktischen
den „Umgang‘ (welchen etwas matten Ausdruck wir durch
den gehaltvolleren Begriff der Gemeinschaft ersetzen würden)
ergänzen müsse, so verfehlt er selbst nicht sich den Einwurf
zu machen: es sei, wenn der Unterricht Erfahrung und Um-
gang ersetzen müßte, „als ob man des Tages ent-
behren und sich mit Kerzenlicht begnügen
so}lte‘“; ein Einwurf, der in seinen weiteren Erörterungen