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und gleichsam im Stile der Sittlichkeit gedachtes Verhältnis
setzen will, nämlich zu „Gott‘“; aus welchem Verhältnis ferner
auch ein neues sittliches Verhältnis unter den Menschen, als
Angehörigen der Gottesgemeinde, als Gotteskindern, sowie auch
zu sich selbst, abgeleitet wird; und wiederum soll die bloß
humane Sittlichkeit sich dieser höheren schlechterdings unter-
ordnen, durch sie erst geheiligt werden. Es gibt endlich auch
eine eigentümliche, mit besonderem Geltungsanspruch auf-
tretende, in ihren Mitteln aber von der bloß humanen gar nicht
verschiedene, religiöse Weise der Kunstgestaltung: die reli-
g1öse Symbolik. Eine weitere, von diesen dreien ver-
schiedene, etwa ganz eigene Weise des objektivierenden Aus-
drucks, eine andere Sprache der Religion als diese gibt es
meines . Wissens nicht. Ich folgere: also vertritt Religion nicht
eine vierte, jenen dreien koordinierte Gestaltungsweise
bewußten Inhalts. An dieser ersten, bloß negativen,
ihrem Kern nach übrigens schon bei Schleiermacher erreichten
Feststellung dürfte nicht zu rütteln sein.
Nun aber will Religion‘ keinesfalls restlos in diesen drei
Weisen objektivierender Gestaltung aufgehen. Sie behauptet
über einen Gehalt zu verfügen, der in keiner einzelnen von
ihnen, auch nicht in allen zusammen, sich erschöpfe. Wohl
spricht die Seele der Religion in ihnen, aber sie spricht sich
niemals aus; ja zuletzt gilt wohl von ihr das Wort: Spricht
die Seele, so spricht, ach, schon. die Seele nicht mehr. Das
alles sind Äußerungen, vielleicht die natürlichen und .not-
wendigen Äußerungen, aber es ist nicht Wurzel und Grund
der Religion. Sie möchte des Begriffs sogar entbehren oder
mit sehr unzulänglichen Begriffen sich behelfen — sie darf es,
eben weil zuletzt auch der höchste menschliche Begriff ihr
nicht Genüge tut; die Tiefe des religiösen Lebens braucht
dabei nicht Schaden zu leiden. Sie möchte selbst in der Sitt-
lichkeit es nicht gar weit bringen — auch die reinste mensch-
liche Sittlichkeit befriedigt ja nicht ihre Ansprüche; so würde
selbst das nicht den Quell der Religion im menschlichen Herzen
verschütten; ja recht aus der Seele der Religion gesprochen
ist das‘ Wort des Mystikers, das selbst die Sünde selig preist.