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Bedeutung gewinnt: daß sie die Idee einer die Menschheit
umspannenden Einheit des Erlebens schlicht und kon-
kret, als Tatsache, nicht bloße Lehre, hinstellt, dem einfachsten
Gemüt offenbar, und dem erhabensten Verstande unergründ-
lich. Angesichts dessen will es doch allzu ahnunglos erscheinen,
wenn man die religiösen Stoffe in einem „ethischen‘“ Unterricht
etwa auf einer Linie mit Grimms Kindermärchen, Robinson
und Homer aufmarschieren läßt.
Also: Religion kann nur als etwas Eigenes, nicht
als bloßer Bestandteil oder Anhang der Sittenlehre,. für die
Erziehung fruchtbar gemacht werden. Desto näher freilich
rückt die Gefahr der Transzendenz. Es wäre schon etwas ge-
wonnen, wenn diese wenigstens dem ganzen übrigen Unter-
richt ferngehalten würde, nicht in Geschichte und Literatur
und gar in die Naturlehre sich einmengen dürfte. Andrerseits
kann dem Privaten, der seiner Gewissenspflicht als Erzieher
nur:duürch eine religiöse Erziehung im Sinne der Transzendenz
zu genügen glaubt, das Recht, eine solche seinem Kinde zu
geben oder geben zu lassen, gegenwärtig nicht bestritten
werden, da die öffentliche Erziehung bisher nicht in der Lage
ist, die Sorge und Verantwortung für die Erziehung etwa aus-
schließlich auf ihre Schultern zu nehmen. Dagegen, wenn die
Religion der Transzendenz mit allgemeinem Zwang jedem ohne
Unterschied aufgedrungen wird, so wird damit nicht minder
die Gewissensfreiheit des andern Teils vergewaltigt. Also ist
der Grundsatz, Religion im Sinne der Transzendenz
als „Privatsache‘“ anzusehen, für eine heutige Schulpolitik der
einzig annehmbare. ;
Aber muß nun darum Religion in jedem Sinne aus der
öffentlichen Erziehung verbannt werden? Das ist es, was ich
nicht einsehen kann. Ich habe in meiner früheren Schrift!)
1) Vgl. ferner: Ein Wort zum Schulantrag (Deutsche Schule, IX, 1905,
auch als Broschüre: Leipzig, Klinkhardt); Religionsunterricht oder
nicht? (ebenda Bd. X, 1906); Leitsätze zum Religiopsunterricht (eben-
da IX, 645, und Ztschr. £f. Philos. u. Päd. XII, 490); Jemand und Ich
(Stuttg. 1906) u. bes. „Religion und Religionsunterricht‘“ (Leipz. Lehrer-
zeitung XV, 1908).