2275 MISZ — MISZACHTEN
stamm missa wird durch das adv. missö wechselseitig, einander
(niba batei izvis missö frijöb, «U un to ahhr,lovs ayanday
Röm. 13, 8; izvarös missö kaüripös bairaib, allniamr ta
Bdaon BaotaGete Gal. 6, 2) gewährt, ahd. missi verschieden ist
bezeugt?
sus missemo muate sint ubile Joh guate, OrTFRıp 5,25, 80
{vgl. 2, 19, 24, wo dafür fehemo muate steht); dıe eigentliche
bedeutung des wortes gieng also von der des wechsels, der ver-
schiedenheit und des abweichens zu der des mangelns, fehlens
(ein mhd. adj. mis mangelnd, entbehrend aufgewiesen von
F. BEcH in der Germ. 8, 473, vergl. auch das fem. misse fehlen,
mangel ebenda; mnd. mis, misse als adverb fehl, sein ziel nicht
erreichend ,. ermangelnd ScHILLER-LÜBBEN 3, 95°; niederl. mis,
misse, erratum malum Kırıan; altnord. mis, miss, ä miss,
(engl.) amiss Vicrusson 430°) und sodann des verfehlien und
schlechten über. das innere ss des goth. stammes missa ver-
hält sich, wie gramm, 2, 470 angedeutet ist, wie in gofh. vissa,
qiss, stass, ist demnach aus angleichung zweier dentalen dt
oder bt entstanden; die zu grunde liegende form midta oder
mipbta gehört wahrscheinlich als passivbildung zu der wurzel mid
oder mip mit der eigentlichen bedeutung des wechselns, ver-
lauschens, verkehrens, vgl. oben sp. 1899,
Die untrennbarkeit der artikel ist in der neueren sprache
nicht ganz ausnahmslos durchgeführt; namentlich hat die volks-
mäszige rede Niederdeutschlands, wo mis seltener in der bedeu-
tung übel, häufiger in der des fehlens gebraucht wird, die nei-
gung, es in verbindung mit einem verbum freier und rein adver-
bial zu diesem zu stellen, vergl. daar kumt he mis, vergeblich,
zu spät, dat geit mis, gelingt nicht, mis gaan, fehl gehen, um-
sonst gehen. brem. wb. 3, 166; sprichwörtlich dat is mis un even,
das ist noch ungewiss, es kann gelingen, aber auch nicht, hebben
is wisz, krigen is mis, der wirkliche besitz ist besser, als die
hoffnung desselben. ebenda; dat ding geit mis, die sache schlägt
fehl. ScHöTzE 3,102; in Westfalen ’t is nich ganz mis, es ist
noch nicht ganz verfehlt, in Dortmund selbst ik daue et mis,
thue es ungern WoEstE 176°; in Osffriesland du bist hir mis,
fehlgegangen, und eine gröszere anzahl ähnlicher wendungen,
vgl. TEN DoORNKAAT-KOOLMAN 2, 605°; von Niederdeutschland aus
ist einiges in die schriftsprache gekommen: es geht ihm mis und
eben. ScCHOTTEL 1118‘; ein guter schütz scheust auch misz.
1132°; bei KıLopsTock in feierlicher rede:
nennet kunst nicht, was mis, wie er auch grübelte,
schuf der aesthetiker, mis,
wie tiefsinnig der mann auch sich gebehrdete. 2,57
(== nennt kunst nicht, was der dsthetiker miszschuf, misz-
geschaffen) ; gewöhnlicher in komischer: mariage! rief das fräu-
lein und erröthete. o wie verstehen sie, mein vater, mich
zinmal wieder recht gründlich misz! IMmErmann Münchh. 2, 4;
schallt ein ruf recht dreist metallen,
gleich erregt es sein miszfallen,
ja doch, es gefällt ihm misz! FRrEILIGRATH dicht, 3,56;
sonst zeigt sich im nhd. der nachklang des adverbialen misz
nur noch in seiner öfters freien stellung zum infinitiv mit zu
und zum part. prät. (neben der festeren zu miszhandeln auch
miszzuhandeln, sowie miszgehandelt, gemiszhandelt, misz-
handelt w. a.), worüber ein festes gesetz entgeht, da der sprach-
gebrauch bei einzelnen verben sich sehr verschieden gestaltet hat,
der hochton der partikel, selbstverständlich der vollen und mhd
form misse- zustehend, hat sich bis heule am nomen (misz-
brauch, miszfall, miszfällig, misztrauen, miszton, misztönig
uw. a.) erhalten, sowie am verbum in dem falle, wo es auszer-
dem mit einer untrennbaren partikel zusammengesetzt ist (misz-
behagen, miszgebären, miszverstehen); wogegen in der ’zu-
sammenselzung mit einfachen verben seit dem 17. jahrh. misz.
schwankend tieftonig geworden und der hochton auf die stamm-
silbe des verbums gerückt ist. diese tonverrückung beobachten
wir zuerst im verse, für welchen allerdings hochbetontes misz-
in dreisilbigen verben besonders ungünstig liegt, nachher ıst es
auch der prosarede eigen geworden; jetzt, und nach AÄDELUNGS
zeugnis auch zum iheil schon im vorigen jahrhundert, betont
man mehr miszbräuchen als miszbrauchen, miszhändeln als
miszhandeln, miszlingen als miszlingen u. a., nur misztrauen
hält sich noch mehr gegen misztraten. solcher veränderten be-
tonung folgen auch die verbalsubstantive miszächtung gegen
miszachtung, miszdeütung und miszdeutung u. s. w.
MISZACHTEN, werb. schlecht, übel, gering achten: wmis-
achten, gering-, klein-, nichtsachten, flocci facere, nauci
habere, indiqnum denutare STIELER 12:
MISZACHTSAMLICH — MISZBEHAGEN 2276
lernet gewarnt recht thun und nicht miszachten die götter,
Voss Aeneis 6,620;
;s heiszt die gesetze zu miszachten; aber auch: so dürfte
loch keine dergleichen schrift völlig miszzuachten sein.
JÖTHE 45, 260; part. gemiszachtet ADELUNG; miszgeachtet: was
vir anfangs miszgeachtet, erwirbt sich nunmehr unsre
schätzung und neigung. GöTHE 24, 193; miszachtet: weil der
vornehme rath lange die zudringlichkeit des regens misz-
-htet hatte. FreyTAG ahnen 4,58.
MISZACHTSAMLICH, adv. contemtim. STIELER 12.
MISZACHTUNG, f.- Zachariae beschäftigt sich viel mit land-
»delleuten, stellt ihre liebhabereien und eigenheiten komisch
dar, aber ohne miszachtung. GÖTHE 26, 198; jetzt sah Anton
mit bedauern, dasz der gute herr Specht in dem zustand
ıllgemeiner miszachtung lebte. FreyraG soll u. haben 1,500;
nimmer verachten ja dich die unsterblichen; fürchterlich
dir, der an würden und macht worragt, miszachtung zu
äuszern, Odyss, 13,142.
MISZANLAGE, f. verfehlle anlage: unregelmäszige leiden-
chaften und miszanlagen der natur. HERDER.
MISZARBEIT, f. vanus et irritus labor. STIELER 49.
MISZARBEITEN, verb. in laborando aberrare, ludere operam,
‘aterem, Aethiopem lavare. ebenda.
MISZART, f. verfehlte, üble art: auch so ein miszarth in
xirlute crescitiva ist, PARACELS. opp. 1,678 B.
MISZARTEN, verb. non insistere vestigıis parentum, depravare,
deflectere a bono, a virtute desciscere, ausarten, abarten. STIELER
59, mit miszartung; ein miszgeartetes kind; auch ein misz-
ırtetes kind.
MISZARZNEI, f. verfehlte, schlechte arznei: wie von diesen
zweien (arzneien) steht, also mein ichs auch von andern
miszarzneien. PArRAcELs. chir. schr. 292C.
MISZBAU, m. aedificium non bene exstructum. KEISERSBERG
jei Frıscy 1, 665°, das mhd. missehü bezieht sich auf die schlechte
bebauung des feldes, vgl. LEXER handwb. 1,1263.
MISZBÄAREN, verb. falsch gebären (vergl. miszgebären und
miszburt): solche besondere liebe miszbirt etwenn und ge-
mainlich flaischliche liebe. KEIsERSBERG siben hauptsünd (1510)
sch”.
MISZBEDIENEN, verb. fehlerhaft bedienen: aber sich hier-
under (in der verwechslung des d und t) einer allzugroszen
“reiheit, ja gar ungewiszheit miszubedienen, kan anders nicht,
als sträflich sein. STIELER sprachkunst 11.
MISZBEFINDEN, n. nicht gutes befinden: ein augenblick-
'iches miszbefinden. GörTHyE 22, 82.
MISZBEFRIEDIGUNG, f. verfehlte oder nicht erlangte befrie-
digung: verstimmung und miszbefriedigung legte sich anfangs
manchmal über den kleinen kreis. W. Hersst J. H. Voss 1
(1872), s. 217.
MISZBEGINNEN, n. übles beginnen?
(die liebe) die herrscherin der sinnen,
die sterbende beseelt, das wilde miszbeginnen
der grimmen tyger zähmt.
LOHENSTEIN in d, auserles. ged. 1,262.
MISZBEGRIFF, m. verfehlter oder falscher begriff? mitwirkung
des h. geistes genug, wenn er nur den zum schreiben an-
lrieb, in dem er die wenigsten und unerheblichsten miszbe-
zriffe erkannte; nur über dessen schrift besonders wachte,
der diese wenigen unerheblichen miszbegriffe von geschehnen
dingen in keine nothwendige verbindung mit seinen lehrsätzen
zebracht hatte. LEsSsING 10, 55; der hegriff ist der mann; das
sinnliche bild des begriffes ist das weib; und die worte sind
lie kinder, welche beide hervorbringen. ein schöner held,
der sich mit bildern und worten herumschlägt, und immer
'hut, als ob er den begriff nicht sähe! oder immer sich einen
schatten von miszbegriff schafft, an welchem er zum ritter
werde. 212. ;
MISZBEHAGEN, werb. displicere , aegre ferre. STIELER 728;
wer ihm selbst behagt, der misbehaget gemeiniglich andern,
jemneris multis, si tui amator eris. ebenda;
schmeicheln ist fast wie natürlich, weil es keinem misz-
behagt. LoGAU 3,34,66;
ob sie dem wechselbalg, der ihr .
so miszbehagt, nicht selbst sich an den gürtel hinge!
WIELAND 18, 138:
doch rechte keiner mit den sternen,
wie viel auch stets ihm miszbehagt. ProATEN 28;
wenn der tapfre Behram
deinem dünkel miszbehagt. 325: