148 VII. Die Feinfühligkeit
den alten Römern als ein ungünstiges Omen auf-
gefaßt wurde. Aber Wilhelm der Eroberer faßte
sich sofort und wendete das Omen für sich und
die Umgebung mit dem Ausdruck: „Ich ergreife
dich, Erde!‘ Als Graf York aus eigener Initia-
tive im Jahre 1812 mit den Russen gegen die
Franzosen sich verband, war es ein Akt der Fein-
fühligkeit für die inzwischen eingetretene Verän-
derung der Verhältnisse, welche ihn diesen höchst
gefahrvollen Schritt unternehmen ließ. In Shake-
speares Drama ‚Julius Cäsar‘ ist eines jener
häufigen Beispiele von Feinfühligkeit gegeben,
die allen geschickten und wirksamen Rednern
eigen ist. Nach der Ermordung Cäsars tritt
Antonius vor die Leiche, und die Ansprache, die
er an das Volk richtet, und die Pausen, die er
einschaltet, um den Pulsschlag des Volkes zu füh-
len, sind ein glänzendes Zeugnis nicht bloß für
seine Redegewandtheit, sondern auch für die mit
ihr verbundene Feinfühligkeit, vermöge der er
mit sicherem Geschick die Verehrung des Volkes
für Brutus in Haß und Empörung verwandelte.
So zeigt sich die Feinfühligkeit in verschie-
denen Formen, im Empfinden, Wahrnehmen,
Urteilen, im Fühlen, in Willenshandlungen wie
in Instinkthandlungen. Umfassen die Interessen-