206 u X, Wesen der Charaktererziehung
Technik, wo der Forschungstrieb oder F ormtrieb
oder Konstruktionssinn schon im jugendlichen
Alter alles geistige Leben überragt und deswegen
zu unausgesetztem Schaffen drängt, wird die Er-
ziehung wohl erreichen können, daß in dem so
Begabten die entsprechenden Begriffe sittlicher
Hingabe an das persönliche Wohl anderer sich
entwickeln, daß er gelegentlich oder auch im all-
gemeinen nach diesen sittlichen Begriffen han-
delt. Nicht aber wird ihr gelingen, daß ihm aus
diesem Wohlfahrtsdienste eine sittliche Aufgabe
erwächst. Einen solchen Charakter zu zwingen,
im wesentlichen dem Wohlfahrtsdienste zu leben,
hieße ihn zugrunde richten. Wir Erzieher wer-
den uns bewußt bleiben müssen, daß der rechte
Dienst für Wahrheit und Schönheit schließlich
auch ein Wohlfahrtsdienst für die Gesamt-
heit ist.
Diese Erwägungen führen uns noch zu einem
anderen Punkte unserer Betrachtung. Die Über-
einstimmung von Maxime, Wille und Hand-
lung erscheint vielen Menschen als eine beson-
dere Forderung des Charakters, weil sie gewöhnt
sind, den Charakter zu bilden und nicht zu
entwickeln, d.h. weil sie gewöhnt sind, dem Zög-
linge von vornherein Anweisungen zu geben, die