212 X. Wesen der Charaktererziehung
weder dem Charakter das Rückgrat gebrochen
oder seine äußere Wirksamkeit, also gerade das,
was ihn wertvoll machen würde, für immer lahm-
gelegt.
Eine Wurzel der sittlichen Charakterbildung
liegt nun aber, wie wir bereits gesehen haben
(vgl. S. 120), in der Fähigkeit, die stets wan-
dernde Aufmerksamkeit immer wieder willkür-
lich auf einen festen Punkt zu richten. „Keiner
ist seiner mächtig, der diese Fähigkeit nicht hat.
Kine Erziehung, welche imstande wäre, diese
Fähigkeit zu stärken, würde die Erziehung
sein.‘‘4
Von diesem Punkte aus sieht man auch deut-
lich die große Bedeutung, die der Befehl in
der Charaktererziehung gewinnen kann, sobald
seine Befolgung aus der Achtung des Befehlen-
den (oder auch aus der Furcht) herauswächst.
Denn nichts ist geeigneter, die Aufmerksamkeit
willentlich auf das tägliche Tun zu richten,
als die autoritativ gegebenen knappen Anweisun-
gen, mögen sie nun von einer gefürchteten oder
geliebten Persönlichkeit oder von den Satzun-
gen einer freigewählten, wertgebundenen Gemein-
schaft ausgehen. Ich habe diese Bedeutung des
Befehls in der pädagogischen Literatur nur ein-