Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

III. Abschnitt: Das siebzehnte Jahrhundert. 
Das wissenschaftliche Leben wurde im 17. Jahrhundert vollständig 
vom Geiste der Mathematik beherrscht, die einen so gewaltigen Aufschwung 
nahm, daß es mit vollem Recht den Beinamen saeculum mathematicum 
trägt. Die Mathematik wurde in diesem Zeitraum zu einer reinen Wissen- 
schaft, die unabhängig von ihren Anwendungen um ihrer selbst willen 
gepflegt werden konnte; das Lehrgebäude unserer jetzigen Elementar- 
mathematik kam fast vollständig zum Abschluß, von ihr begann sich mit 
der Erfindung der Differenzialrechnung die höhere Mathematik zu sondern; 
in sämtlichen mathematischen Disziplinen wurde das formale Bezeichnungs- 
wesen zu der jetzt herrschenden Form fast vollständig ausgebildet. Mit 
der Entstehung der höheren Mathematik im gegenwärtigen Sinne des 
Wortes beginnt nun das mathematische Wissen den Umfang dessen, was 
auf unseren höheren Schulen in diesem Fache getrieben wird, zu überschreiten. 
Die Fortschritte der mathematischen Wissenschaft brauchen daher von 
jetzt an nicht mehr in ihrer Vollständigkeit verfolgt zu werden, sondern 
sollen nur so weit berücksichtigt werden, als sie in die höheren Schulen 
Eingang gefunden und einen bestimmenden Einfluß auf den Unterrichts- 
detrieb in den höheren Schulen ausgeübt haben. 
Die praktische Arithmetik wurde gleich zu Anfang des Jahrhunderts 
um die Erfindung der Logarithmen bereichert. Die Entdeckung dieses für 
die Multiplikation, Division, Potenzierung und Radizierung größerer 
Zahlen, vor allem aber für die trigonometrischen Rechnungen jetzt so un- 
entbehrlich gewordenen Hilfsmittels knüpft sich an die Namen Jost Bürgi 
(1552— 1632), der auch der Erfinder der im Rechenunterricht der höheren 
Schulen geübten abgekürzten Multiplikation ist, des Lord John Napier 
(Neper) aus Merchiston in Schottland (1550—1617) und des Oxforder 
Professors Henry Briggs (1560—1630). Freilich hatte schon vor ihnen 
Stifel erkannt, daß es zu jeder geometrischen Progression eine arithmetische 
gibt, bei welcher an die Stelle der Multiplikation, Division, Potenzierung 
und Radizierung die Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division 
tritt, doch kam Jost Bürgi zuerst auf den Gedanken, die Zahlen dieser 
arithmetischen Reihe zur Vereinfachung der Rechnungen mit den Zahlen 
der geometrischen Reihe zu verwenden und berechnete in den Jahren 
1603—1611 eine Tabelle zu seinem eigenen Gebrauch bei astronomischen 
Rechnungen. 1614 erschien dann das erste gedruckte Buch über die Loga- 
rithmen von John Neper, der unabhängig von Bürgi zu ihrer Entdeckung 
gelangt war, sie anfangs numeri artificiales, in seinem zweiten Werke 
(1617) aber Logarithmen nannte. Nepers Tafeln kamen 1618 durch Ursinus 
nach Deutschland. 1620 gab Jost Bürgi seine „Progreß-Tabulen‘“ heraus, 
in denen die Logarithmen rot gedruckt waren, weswegen er sie auch die 
„roten Zahlen“ nannte. Am eifrigsten war Kepler bemüht, der neuen Er- 
findung Anerkennung und. Verbreitung zu schaffen. Um dem Mangel einer 
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