I. Kapitel: Das saeculum mathematicum. 125
Die hier geschilderten Fortschritte der Mathematik und Naturwissen-
schaften im 17. Jahrhundert erscheinen noch bedeutender und erstaun-
licher, wenn man die gleichzeitigen politischen Ereignisse berücksichtigt
und in Betracht zieht, welche vernichtenden Kriege jenen Zeitraum aus-
füllen. Wenn auch Deutschland mehr als alle andern Länder von den
verheerenden Folgen zu leiden hatte, so werden doch auch auf dem Boden
Englands, Frankreichs, der Niederlande, Italiens sowie auch der nordischen
Reiche erbitterte Kämpfe ausgefochten. Die Einwirkung der immer-
währenden Kriege im mathematischen Säkulum spiegelt sich in der Ent-
wickelungsgeschichte der Wissenschaften in der Tatsache wieder, daß
die Ars fortificatoria als der „fürnehmste‘“ und wichtigste Zweig der
Mathesis applicata, ja der gesamten Mathesis angesehen wird. So sehr
auch die kulturzerstörenden Wirkungen des Krieges bei der damaligen
unmenschlichen, ja fast noch barbarischen Art der Kriegführung hervor-
treten, so sind die immerwährenden Kriege doch gegenüber der kultur-
fördernden friedlichen Arbeit, an der nunmehr sämtliche Staaten Europas
im Wettbewerb teilnehmen, ohnmächtig. Über alle Verwüstungen der
Kriege hin schreitet die wissenschaftliche Forschung siegreich vorwärts,
und ihr Fortschritt übt auch eine fördernde Einwirkung auf Landwirt-
schaft, Industrie und Technik aus, deren Verbesserung auch die führenden
Männer der Wissenschaft ihre Aufmerksamkeit zugewendet halten. Im
17. Jahrhundert beginnen die zielbewußten Witterungsbeobachtungen,
die Regenmessung, Feuchtigkeitsmessung, Windmessung erhalten ihre
ersten Beobachtungsapparate. So erfindet Ferdinand I. von Toskana
1645 das Absorptionshygrometer, und Folli konstruiert 1664 sein Hygro-
meter, das die hygroskopische Eigenschaft eines Pergamentstreifens ver-
wendet. Hooke erfindet zur Messung der Windstärke 1667 das Anemo-
meter, und 1670 verbessert er den schon vor ihm erfundenen Regenmesser
zu einem genaueren Meßinstrument. Halley untersucht die Rıchtungen
der Winde und ihren Zusammenhang mit dem Wetter und gibt 1686 die
erste metorologische Karte heraus. Verniers Übertragung der Erfindung
des Nunez auf die Messung kleiner Strecken (1631), Gascoignes Erfindung
des Mikrometers (1640), Hookes Kreisteilmaschine (1674) fördern die Ent-
wicklung der Präzisionsmechanik und die genauere Herstellung der messen-
den Werkzeuge des täglichen Lebens; Roberval erfindet 1670 die ober-
schalige Wage. Galilei und Huygens verbessern die Apparate der Zeit-
messung durch Einfügung eines Pendels; Olaf Römer (1674) und später
La Hire (1695) verbessern die Zahnräder, indem Sie die epizykloidische
Form der Zähne einführen; die Erkenntnis der Eigenschaften der Zykloide
als Curva tautochrona führt Huygens zur Einführung. des Zykloidal-
pendels (1674). Für die Taschenuhren wird die Ankerhemmung erfunden,
am Ende des Jahrhunderts (1695) die Zylinderhemmung. 1676 stellt