Einleitung.
Schwerlich wird jemand, der eins der jetzt auf unseren höheren Schulen
gebräuchlichen Zensurenformulare zur Hand nimmt, sich dessen bewußt
werden, daß er in ihm ein für die Geschichte des höheren Schulwesens
wichtiges Dokument vor sich hat. So nüchtern und an sich bedeutungs-
los die Aufzählung der Unterrichtsdisziplinen erscheinen mag, so reden
sie doch für denjenigen, der sich mit der Geschichte unseres Schulwesens
vertraut gemacht hat, eine deutliche Sprache: sie enthalten in ihrer An-
ordnung gleichsam in nuce eine Entwicklungsgeschichte des Unterrichts
an unseren höheren Lehranstalten. Diese sind eine Schöpfung des Zeit-
alters der Reformation, das unvergängliche, lebendige Denkmal für die
Wirksamkeit der zu jener Zeit im Vordergrund der geistigen Kämpfe
stehenden Männer, die mit den von ihnen gegründeten Gelehrtenschulen
den Grundstock unseres heutigen höheren Schulwesens schufen. Es lag
in der Natur der Sache, daß diese großen geistigen Führer Deutschlands
in den Lehrplan ihrer Schulen zunächst nur diejenigen Lehrgegenstände
aufnahmen, deren Pflege. unbedingt nötig war, wenn anders ihr Werk
Bestand haben sollte. So wird es erklärlich, daß Religion, die alten Sprachen
und im Anschluß an diese die Geschichte die erste Stelle in den Zensuren
einnehmen. Diese Disziplinen sind ja auch neben der Muttersprache
Jahrhunderte hindurch, obgleich die zwingenden Gründe der ersten Zeit
längst nicht mehr vorlagen, noch bis in die neueste Zeit hinein als: die
Grundlage jeder höheren Bildung angesehen worden. Als dann *die
Schulen, den Forderungen der Zeit und des Lebens Rechnung tragend,
die neueren Sprachen ‚und die Realien in den Unterrichtsbetrieb hinein-
zuziehen begannen, wurden Französisch und Englisch den altsprachlichen
Lehrfächern angegliedert, während die Mathematik und die Naturwissen-
schaften in der Reihenfolge, wie es ihrem zeitlichen Eindringen in den
Lehrplan entsprach, hinter allen übrigen eingereiht wurden.
Die Lehrgegenstände sind demnach auf unseren Zensuren weder nach
ihrer Wertschätzung für höhere Bildung noch nach ihrer Bedeutung für
die Ausbildung der Fähigkeiten des menschlichen Geistes geordnet, ihre
Reihenfolge ist nichts als der Niederschlag des geschichtlich Gewordenen,
und es wäre eine Pietätlosigkeit gegen die Geschichte, wollte man an
Pahl, Geschichte des math. und naturw. Unterrichts,